: Welt der Schuldenliteratur
■ Ein kleiner Reiseführer durch die jüngste Veröffentlichungsflut / Simple Imperialismustheorien tragen wenig zur Klärung des Problems der Schulden der Dritten Welt bei / Humanistische Empörung vs. analytische Kühle / Mangel an alternativen Lösungen
Teil 16: Kurt Zausel
Keine anständige gesellschaftliche Krise ohne literarischen Geleitschutz. Die Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank im September in Berlin hat bereits eines erreicht: Das Angebot einschlägiger Publikationen ist seit Auslieferung der Frühjahrsproduktion der Verlage drastisch angeschwollen. Waren bislang die Zusammenhänge zwischen Entwicklung, Außenhandel, supranationalen Institutionen, Geld, Kapital, Kredit und Devisen ein Thema für in kleiner Auflage aufgelegte Fachpublikationen, so finden sich mittlerweile eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die sich darum bemühen, den Skandal der Außenverschuldung der Länder der Dritten Welt in Höhe von 1.200 Milliarden US-Dollar einem breiteren Kreis von Interessenten nahezubringen. Ein nützlicher Überblick über die Veröffentlichungsflut findet sich in einer just erschienenen Broschüre des nach Amsterdam emigrierten ID -Archivs mit dem Titel Geld. Kurze Inhaltsangaben zu den unter verschiedenen Sachrubriken versammelten Veröffentlichungen machen die Broschüre zu einem brauchbaren Reiseführer durch die Welt der Schuldenliteratur.
Was auf den ersten Blick wie ein gigantischer moralischer Skandal und als eine Bestätigung der guten alten linken Überzeugung, derzufolge die entwickelte kapitalistische Welt die Dritte Welt ausbeutet, erscheinen mag, erweist sich auf den zweiten und genaueren Blick als komplexes weltwirtschaftliches und -politisches Problem. Auch wenn die alten Antworten noch stimmen sollten, so hat doch gerade die Schuldenkrise deutlich gemacht, daß es neuer Begründungen bedarf. Die Dependencia- und Imperialismustheorien greifen zu kurz, um die nationalen Schuldenkrisen der Dritten Welt und der Länder des realen Sozialismus begreifen zu können. Das zeigt sich bereits bei einem näheren Blick auf die Typen nationaler Schuldenregimes, die von Land zu Land voneinander abweichen. So weisen beispielsweise die argentinische und die ghanaische Geschichte der Außenverschuldung gewaltige Unterschiede auf. Die Geschichte der Verschuldungskrise nach dem Motto „cui bono“ zu analysieren, wie dies etwa Herbert Schui in seiner Schuldenfalle unternimmt, mag zwar zu gerne gehörten Botschaften führen, geht aber am Kern der Ursachenbündel der Schuldenkrise haarscharf vorbei. Wäre die Verschuldung der Dritten Welt tatsächlich nichts weiter als das Resultat einer weitblickenden Strategie von US-Regierung und Big Business, um die Expansionsmöglichkeiten des großen Industrie- und Bankkapitals zu optimieren - wie Schui behaup
tet -, dann wäre der Übeltäter schnell dingfest gemacht. Eine Neutralisierung dieses Machtkomplexes, und das Problem wäre im Griff. Wie sehr viel vielschichtiger der Verschuldungsprozeß verläuft, führt Barbara Töpper am Beispiel des argentinischen Falls in der neuesten Ausgabe der 'Prokla‘ vor. Überzeugend wird dort die Verschränkung interner Machtzusammenhänge und weltwirtschaftlicher Konstellationen und Strukturzusammenhänge als entscheidende Ebene der Analyse vorgeführt.
Die Schuldenkrise ist zu schwerwiegend, um sie den Finanzfachleuten und Ökonomen zu überlassen, so Susan George in ihrem Buch Sie sterben an unserem Geld. Die Autorin ist getreu diesem Motto darum bemüht, die Verschuldung und vor allem die sozialen Konsequenzen dieses Prozesses in sprachlich einfacher, aber auch in drastischer Weise zu analyiseren. Die wichtigste Botschaft ihrer Ursachenforschung: Die Verschuldung ist weder das Resultat einer weltweiten Verschwörung großer und mächtiger Kapitalgruppen noch etwa der Politik des Internationalen Währungsfonds. Die Schuldenkrise sei vielmehr die Konsequenz des Handelns einer Vielzahl von Akteuren, die alle eine Weltanschauung teilen: wachsen und sich bereichern. Eine „kulturalistische“ Imperialismusinterpretation ersetzt hier den kruden Ökonomismus. Viel gewonnen ist damit allerdings nicht. Zurück bleibt der Eindruck, die Aufnahme externer Kredite sei per se von Übel. In einer Reihe von Länderstudien führt sie die Kollaboration von westlichem Bankensystem und Gläubigerregierungen, IWF und Weltbank sowie korrupten politischen Klassen in der Dritten Welt vor, die zur Schuldenkatastrophe führte. Eindringlich zeigt sie auf, wer den Preis dieser Entwicklung zu zahlen hat: das einfache Volk, das unter der Last der Verschuldung Arbeits und damit Einkommensmöglichkeiten verliert und zu Zehntausenden in den Hungertod getrieben wird. Susan Georges Darstellung der sozialen Konsequenzen der Schuldenkrise rüttelt auf - analytische und sachliche Fehler dürften bei so viel moralischer Empörung bei den meisten Lesern nicht ins Gewicht fallen.
Fast lakonisch nimmt sich dagegen eine Broschüre des BUND zu Umweltzerstörungen der Weltbankprojekte in der Dritten Welt aus. Auf Hochglanzpapier und mit vielen Farbfotos versehen, wird der Zusammenhang zwischen ökologischem Raubbau und Schuldenkrise entwickelt und werden anhand konkreter Weltbankprojekte die Auswirkungen auf die Umwelt aufgezeigt. Aber auch in der Lakonie von Sprache und Darstellung erschließt sich der drohende Ökozid. Ein Beispiel ist das Carajas-Projekt: Auf einer mehr als dreieinhalbfach größeren Fläche als der Bundesrepublik werden dort riesige Bauxit- und Eisenerzvorkommen abgebaut. Für diese industrielle Erschließung wurde der Tucurui -Staudamm, der die Größe des Saarlandes hat, errichtet. Die ersten Opfer dieses gigantomanischen Industrieprojektes waren die ansässigen indianischen Völker, die von ihrem Land vertrieben wurden. Durch den Tagebau werden riesige Regenwaldflächen freigelegt und der Wasserkreislauf dieses Ökosystems gestört.
Von der Verschuldung als moderner Form der Ausplünderung berichtet eine von der Aktion Dritte Welt und dem AK Enwicklungspolitik im BDKJ herausgegebene Broschüre. Im Schnelldurchgang werden die Akteure und die Mechanismen der Schuldenkrise darzustellen versucht. Der Versuch, die einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Schuldenkrise in eine verständlichere Sprache zu übersetzen, darf als teilweise gelungen bezeichnet werden. Daß allerdings Reduktion von Komplexität kein einfaches Geschäft ist, zeigt die Diskussion der Rolle des sogenannten Eurodollarmarktes im Verschuldungsprozeß. In naiver Anlehnung an die Literatur wird einfach die These einer unkontrollierbaren und unbegrenzten Geldschöpfungskapazität dieses Marktes behauptet und der Schluß nahegelegt, daß genau diese Fähigkeit die monetäre Basis des Verschuldungsprozesses zur Verfügung stellte. Diesem Problem gerechter wird eine von der AG Weltwirtschaft mit Unterstützung des Internationalismus -Referates des AStA der FU Berlin veröffentlichte Broschüre zum Weltzahltag - über Kreditschleudern und anderes ... Die zur Klärung dieses Problems benötigten zwanzig Druckseiten sind dann allerdings auch nicht von Pappe. Volkswirtschaftliche Vorkenntnisse dürften erforderlich sein, sollen die Argumentationsschritte verstanden werden. Diese Broschüre fällt gegenüber den anderen hier vorgestellten Veröffentlichungen aus dem Rahmen, weil sie die Analyse des Verschuldungsproblems mit einer Begründung eines sozialrevolutionären Praxisverständnisses verknüpft. „Autonome“ Theorieanstrengungen sind selten geworden - vielleicht deutet sich ja eine neue Tendenz an.
Keine Veröffentlichung zur Schuldenkrise ohne Vorschläge zu ihrer Überwindung. Strategien und Alternativen zur Lösung der Schuldenkrise verspricht der Untertitel eines neuen Buchs im Konkret Literatur Verlag. Leider ist der Titel eine Übertreibung: Von 229 Seiten widmen sich ganze 74 dieser Schlüsselfrage. Die Vorschläge reichen von einer globalen Schuldenstreichung über eine verstärkte Süd-Süd -Kooperation bis zu einer Ablösung des Weltgeldes Dollar sowie einer Forcierung der Subsistenzproduktion als Chance zur Einleitung einer öko-feministischen Gesellschaft in der Dritten Welt. Die Schuldenkrise als Chance für ein neues, nicht-weltmarktorientiertes Entwicklungsmodell? Den Zusammenhang zwischen Schulden- und Entwicklungskrise herauszuarbeiten ist sowohl für das Verständnis der Schuldenkrise als auch für die Entwicklung alternativer Lösungsstrategien von entscheidender Bedeutung. Wie schwierig dieses Geschäft ist, zeigen allerdings die Beiträge von Davis Booth und Manuel Castells in der 'Prokla‘. Eine Frage jedenfalls, die weder am Schreibtisch noch in den Metropolen entschieden werden sollte.
Die Veröffentlichungen:
ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte/Amsterdam: Geld. Bestellung: Aurora Verlagsauslieferung, Knobelsdorffstr.8, 1000 Berlin 19;
AG Weltwirtschaft: Weltzahltag. Zu beziehen über AStA FU Berlin, Internationalismus-Referat, Kiebitzweg 23, 1000 Berlin 33
AK Entwicklungspolitik/Aktion Dritte Welt: Banken, Kredite und die „Dritte Welt“, 3.Auflage, Schmetterling Verlag, DM 9,50;
Susan George: Sie sterben an unserem Geld, rororo aktuell, Reinbek, DM 16.80;
BUND: Wie Weltbankmacht die Welt krank macht, Kölner Volksblatt Verlag, DM 9,80;
Herbert Schui: Die Schuldenfalle, Pahl-Rugenstein, DM 14,80
Konkret Literatur Verlag: Soll und Haben, DM 22,-;
PROKLA: Ein Markt und viele Welten, Heft 71, Rotbuch Verlag, DM 16,- (Abo: DM 13,-).
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