: Den „Martinshof“ überflüssig machen
■ Der Grüne Horst Frehe kritisiert die steigende Anzahl der Arbeitsplätze im „Martinshof“ / Behinderte sollen regulär und nach Tarif bezahlt in Bremer Betrieben und Behörden arbeiten / Amtsleiterin will in die gleiche Richtung wie der „gute Frehe“
Bremens geistig Behinderte tragen keine Anstaltskleidung und binden auch nur in den seltensten Fällen Bürsten, aber deshalb arbeiten sie noch lange nicht im Karosseriebau bei Daimler-Benz, auf dem Einwohnermeldeamt oder in der taz -Lesebriefredaktion. Ihr Arbeitsplatz ist selbstverständlich im „Martinshof“, den städtischen Behinderten-Werkstätten. Hier montieren sie die Heckleuchten für Mercedes, hier verpacken sie Marmelade in Hotelportionen.
Fast 1.200 Beschäftigte hat der Bremer „Martinshof“ und jedes
Jahr werden es rund 44 mehr. Denn den Zugängen aus Sonderschulen stehen kaum Abgänge ins RentnerInnendasein gegenüber. Fast niemand ist älter als 48 Jahre: Eine Folge der mörderischen „Euthanasie„-Politik. Die Generation der vor 1940 geborenen geistig Behinderten ist von den Nazis vergast worden.
Aufgrund des steten Zuwachses und der räumlichen Enge forderte die Leiterin des „Martinshofes“, Hannelore Stöver, vergangene Woche zusätzliche Räumlichkeiten. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Horst
Frehe verlangte jetzt in einer Replik, nicht die „Sondereinrichtung Martinshof“ müsse jährlich um 44 Arbeitsplätze wachsen, sondern die „Integration in den regulären Arbeitsmarkt“. Auch wandte sich Frehe dagegen, die Anstalt „Friedehorst“ um eine Werkstatt für schwer körperlich Behinderte zu ergänzen: „Dort werden Behinderte, die schon in Heime ausgesondert wurden, durch die Konzentration in einer Werkstatt noch weiter isoliert.“ Gerade das Diakonische Werk, das vorbildliche Arbeit bei der Integration behinderter Kinder in
Kindertagesheime leiste, müsse eine solche Fehlentscheidung rückgängig machen.
Frehe hat allerdings Verständnis für den Wunsch Hannelore Stövers, der unerträglichen räumlichen Enge im Martinshof mit einer Dependance im Bremer Westen abzuhelfen. Doch er stellte sich kategorisch auf den Standpunkt: „Keine neuen Werkstattplätze.“ Bei seinen beiden USA-Reisen hatte Frehe das Programm des „supported employment“ schätzengelernt, mittels dessen Behinderte aus US-Werkstätten einen regulären Arbeitsplatz bekommen. Folgerichtig fordert er auch für Bremen „Unterstütze Beschäftigungsverhältnisse“. Behinderte sollen dann nicht mehr für durchschnittlich 220 Mark Arbeitsentgeld, zuzüglich 264 Mark Sozialhilfe Daimler -Heckleuchten im „Martinshof“ montieren, sondern sie sollen für Tariflohn und direkt im Bremer Daimler Werk fertigen. Damit die Neuen aus dem „Martinshof“ bei Daimler nicht völlig alleingelassen sind, soll ihnen ein „Arbeitsassistent“ zur Seite stehen, zwei Wochen ganztätig mit
ihnen zusammenarbeiten und sich dann langsam zurückziehen.
Im Wahlkampf hatte Horst Frehe seine Forderungen auch im Martinshof vorgetragen und war auf erhobene Fäuste und 300fache Buh-Rufe gestoßen. Der Elternbeirat hatte gegen ihn mobil gemacht, weil er fürchtete, Frehe wolle gleich die ganze Einrichtung dicht machen.
Amtsleiterin Hannelore Stöver jovial: „Der gute Frehe hat ein gutes Ziel, und das soll er auch so oft wie möglich sagen. Aber alles dauert seine Weile“. Ab der Jahreswende 87/88 tagte eine behördeninternen Arbeitsgruppe und beschloß: Ein „arbeitsrehabilitativer Fachdienst“ soll Schwerbehinderte an Arbeitsplätzen in Behörden und Betrieben betreuen.
Eine Außengruppe des „Martinshofes“ arbeitet auch bereits in einem Betrieb, in der „Norddeutschen Steingut“, allerdings räumlich von der Rest-Belegschayft strikt getrennt. Hannelore Stöver: „Aber drei von uns arbeiten schon mit Nicht-Behinderten zusammen.“
Über den Stand der Gespräche mit anderen Unternehmen will sie
nichts öffentlich machen: „Es gibt generell die Angst vor behinderten Menschen und die Angst der Betriebsräte, daß bei ihnen Arbeitsplätze abgebaut werden.“
Angst vor Veränderungen und „Integration“ gibt es auch bei den Beschäftigten im Martinshof. Hannelore Stöver: „Fünfzig bis siebzig Prozent der Leute wüßten mit der Frage, ob sie lieber draußen Fuß fassen wollen, gar nichts anzufangen. Die haben keine Vorstellung von Geld oder von Arbeitsplätzen“. Doch auch bei denen, die sich sehnlichst auf einen normalen Arbeitsplatz wünschten, stellten sich Schwierigkeiten ein: „Vor eineinhalb Jahren hat ein junger Mann von uns in einer Druckerei in Lilienthal angefangen. Er ist bei uns der King gewesen, sozusagen der Einäugige unter den Blinden. Doch vor einem Monat stand er bei uns wieder auf der Matte. Er war dort in der betrieblichen Hierarchie ganz unten und hatte keinen Kontakt zu Kollegen gefunden. Da war nichts mit gemeinsamen Bierchen nach Feierabend.“
B.D.
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