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Mopeds, Heidsieb und Computer

■ WG-Alltag 1988: Das Frühstück am Sonntagmorgen im Kreise der Lieben

Der anschwellende Lärm läßt mich aus dem Schlaf hochschrecken. Bei diesem Krach kann es sich nur um das Laufgeräusch von Toms Rechneranlage handeln. Mürrisch zur Uhr blickend, nehme ich die 13.26 zur Kenntnis und versuche mich langsam aufzurichten. Mein armer Körper wird durch einen bösen Kater und motorische Störungen geplagt. Scheiß Tequila, ist doch längst out, das Zeug. Kerstin ist natürlich schon munter. In ihren schrillen Bademantel gehüllt, hockt sie im Schneidersitz in der Mitte ihres Zimmers. Neben sich einen Stoß Kontoauszüge, trägt sie fröhlich pfeifend sdchwarze Zahlen in ihr geheimnisvolles kleines Buch. Aus der teuren Stereoanlage dröhnt Michael Jacksons „Man in the Mirror“.

„Morjen.“ „Morgen.“ „Seit wann arbeitet unser Jungunternehmer denn auch Sonntags?“ „Wieso auch?“, entgegnet Kerstin grinsend. „Der arbeitet doch nur Sonntags!“

Gelangweilt greife ich den Telecommander und klicker erst mal die 23 Kabelkanäle durch. Sky, Tele 5, MTV. Im channelcrossing bin ich unschlagbar. Kerstin ist von meinem Tun nicht sonderlich begeistert und zieht ihren Amp höher, um den Fernseher zu übertönen. Nach einer erfrischenden Dusche und einigen Aspirin treffe ich Tom in der Küche., Der Radau, den er beim Aufschäumen der Milch mit seiner edlen Espressomaschine macht, wirft mich körperlich wieder ziemlich zurück. Gemeinsam decken wir den Frühstückstisch.

Lachs, alter Gouda, Parmaschinken und Sekt gehören schon lange zum unverzichtbaren Equipment. Ach ja, und natürlich vollkornmäßiges Müslibrot. Unwillig betrachtet Kerstin die Flasche Luther und Wegner. „Seit wann gibt's denn wieder Studiebrause, keen Heidsieck da?“

Plenumsmäßig diskutieren wir die Problematik, die aus dem Ausfall eines unserer drei Autos resultiert. Zum Glück hat jeder von uns noch ein Moped. Das gibt immer wieder Anlaß zu Sticheleien. Kerstins Reis-Racer (Motorrad japanischer Herstellung) ist nach ihren Einlassungen eindeutig der Schnellste. „Geradeaus vielleicht“, werfe ich ein. „Deinem Parmesello“ (verächtlich für Moto-Guzzi) „fehlen doch glatt zwei Zylinder“, hält sie dagegen. Tom mit seinem Opa-Moped (BMW) steht über den Dingen und schweigt mokant grinsend.

Zweiräder sind bei uns immer ein dankbares Thema. Allerdings nur das zweitbeliebteste; schon sind meine beiden Computer-Freaks beim EDV-spezifischen Fachsimpeln. Ich hätte noch gerne über meine Getriebeausgangsdichtung gesprochen; aber zu spät. „UNIX is schon wat anderes“, klärt uns Tom auf. „Beim 'console login‘ sach'ste 'root‘, denn haste deine janzen 'directories'“, ergänzt Kerstin.

Frustriert sinke ich in meinem Küchenstuhl. Ich kann nicht mithalten, fühle mich ausgegrenzt, „Find ich echt scheiße, Du“. Aber wenn es erst wieder um unsere Mottorräder geht, dann haue ich die Sache mit meiner Dichtung einfach 'raus!

Ralf Schmidt

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