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Gewerbehof Karlsruhe: Jahresbilanz der Selbstverwaltung

Ein Jahr in Klosprüchen: Wir brauchen keine Alternativ-Kapitalisten - Scheiß Reformisten / Wir brauchen auch keine Scheißeschwätzer / Jobberfraktion: Bleibt doch in eurem Sumpf - verdammt! / Geschichte wird nur von denen gemacht, die durchhalten / Jawoll, zankt euch schön, dann machen sie euch noch schneller ein!  ■  Aus Karlsruhe Rolf Gramm

Selbstverwaltung ist eine der einfachen Ideen, die schwer zu verwirklichen sind. Das gemeinsame Arbeiten ohne Chef in einem kleinen Kollektiv zu organisieren gilt als schwierig genug. Wieviel komplizierter noch muß diese Übung werden, wenn nicht ein Alternativbetrieb seine Angelegenheiten auf die Reihe kriegen muß, sondern gleich zwei Dutzend neben dem eigenen Terz sich auch noch untereinander koordinieren müssen?

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde in Karlruhe der „Gewerbehof“ eingeweiht. 23 selbstverwaltete Betriebe, soziale und kulturelle Initiativen bezogen gemeinsam ein ehemaliges Druckereigebäude, um hier ihren Vorstellungen vom „anderen Leben und Arbeiten“ ein Stück näher zu kommen. (vgl. taz v. 22.5.'87)

Von der Gründereuphorie, die die Gewerbehof-Genoss/inn/en seinerzeit ausstrahlten, ist auch ein Jahr später noch einiges geblieben. Der Gewerbehof hat sich zu einem alternativen Zentrum in der politisch ansonsten reichlich öden Szenerie Karlsruhes entwickelt. Den Betrieben geht es wirtschaftlich gut. Das 3.300 Quadratmeter umfassende Gebäude ist mit inzwischen 25 Initiativen zu 100 Prozent belegt. Lediglich einige Sprüche an den Klowänden erinnern noch an die Auseinandersetzungen, die in der Gründerzeit eine Rolle spielten. „Wir brauchen keine Alternativ -Kapitalisten, Scheiß Reformisten“ ist da zu lesen. Die Gruppe, die den Gewerbehof-Machern solches seinerzeit vorwarf, ist inzwischen im Projekt nicht mehr vertreten.

Bemerkbar macht sich nach einem Jahr vor allem die berüchtigte „Mühsal der Ebene“. Was in jeder Wohngemeinschaft zu ständigen Problemen führt, der unterschiedliche Arbeitseinsatz bei Gemeinschaftsarbeiten, ist auch in dem Karlsruher Großprojekt Ausgangspunkt ständiger Querelen. „Da gibt es welche, die siehst du ständig, die ackern rum“, ärgert sich Uldis Melkis vom „Freiraum e.V.“, dem Trägerverein des Gewerbehofs, „und es gibt andere, die sich an den Selbstverwaltungsangelegenheiten fast nicht beteiligen.“

Immerhin sind es vier bis fünf Stunden in der Woche, die sich ein/e Gewerbehof-Aktivist/in mit Gemeinschaftsaufgaben beschäftigt. Zweiwöchentlich tagt das Plenum, auf dem alle Angelegenheiten nach dem Konsensprinzip geregelt werden müssen. Teilnahme ist Pflicht. Zusätzlich sollte jeder sich in einer der Arbeitsgruppen betätigen, die zu zahlreichen Einzelfragen - etwa der Errichtung von Fahrradständern eingerichtet werden. Lediglich eine Halbtagsstelle für technische Verwaltungsarbeiten unterstützt die Eigeninitiative der Gewerbehof-Genossen. „Das Problem, daß sich einige auspowern und andere nix machen, ist überall dasselbe“, erzählt Maria Fielitz, die heute in der Kantine nicht ohne Grund „Cafe Palaver“ genannt - arbeitet und zu den Gründungsmitgliedern gehört. Sie hat sich ähnliche Projekte in Hamburg und Nürnberg angesehen. „Eine wirklich befriedigende Lösung hat noch keiner gefunden.“

Im Spätsommer wollen die Gewerbehöfler eine Art Generaldebatte zu dieser Frage veranstalten. Enttäuscht zeigen sich viele Kollektivmitglieder auch über die Unfähigkeit des Gewerbehof-Projekts, politisch zu handeln. Vor allem diejenigen, die mit ihrer Alternativexistenz ausdrücklich politische Ziele verfolgen, klagen darüber, daß die Zusammensetzung des Projekts und das Konsensprinzip letztlich dazu führen, daß der Gewerbehof bei kontroversen politischen Themen nicht handlungsfähig sei.

„Es sind praktisch zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Projekt, die hier aufeinandertreffen“, erklärt Uldis Melkis. Auf der einen Seite stünden diejenigen, die im Gewerbehof eigentlich nur „einen Mieterverein ohne weitere Ansprüche“ sehen, die froh sind, jetzt gesicherte Räume zu haben, und die sich in der kulturellen Gemeinschaft mit Gleichgesinnten wohlfühlen. Auf der anderen Seite arbeiteten diejenigen, die aus radikalen politischen Bewegungen kommen, für die ihr selbstverwalteter Betrieb ein Teil des Kampfes für politische Veränderung ist. Sie hatten sich von dem Zusammenschluß im Gewerbehof eine Steigerung der Schlagkraft ihrer politischen Vorstellungen erhofft.

Zu letzteren gehört Wolfgang Oesterle, Redakteur der im Gewerbehof ansässigen Karlsruher Stadtzeitung „Gegendruck“. An einem Beispiel verdeutlicht er die Problematik: „Da wurde letztes Jahr in Karlsruhe ein leerstehendes Haus besetzt und sofort geräumt. Die Initiatoren der Besetzung beantragten, in den Räumen des Gewerbehofs ein Fest zu machen. Sofort gab es einen, der darauf hinwies, daß wir von der Stadt noch Geld zu erwarten haben, und daß es mit diesen Anti -Imperialisten sowieso bloß Schwierigkeiten geben werde. Da kommt doch raus“, meint Wolfgang Oesterle, „daß wir uns ein Stück weit von der Stadt abhängig gemacht haben, und daß einige sich deshalb auch schon wohlgefällig verhalten wollen.“

Und ein weiteres Problem sieht Wolfgang Oesterle: „Mit unserer Vollversammlungsdemokratie und der Delegierung bestimmter Aufgaben an Arbeitsgruppen wollten wir Hierarchien verhindern. Tatsächlich ist es aber so, daß es gerade eine Handvoll Leute gibt, die sich noch einen Überblick über das Gesamtprojekt erhalten haben.“ Real habe sich dadurch eine Art inoffizielles Management herausgebildet. Oesterle würde es nichts ausmachen, „ein paar Leute anzustellen, die die Verwaltungsarbeit machen“. Wie man das so organisieren kann, daß sich dabei nicht ein Management verselbständigt, weiß er nicht, für ihn ist das aber nicht in erster Linie eine Frage ausgeklügelter Regelungen, sondern davon, „was die Leute mit dem Gewerbehof wollen“.

Trotz dieser Kritiken, die Gewerbehöfler sind in ihrer Mehrzahl zufrieden mit ihrem Projekt. Dazu trägt auch das öffentliche Interesse bei, das ihnen entgegengebracht wird. Weniger, daß auch mal Rundfunk und Fernsehen auf dem Gelänge anzutreffen sind, ist ihnen dabei wichtig, sondern vor allem die Aufmerksamkeit, die ihnen in der Alternativszene entgegengebracht wird. „Wir haben da etwas angestoßen“, erklärt Maria Fielitz, „in Hannover, Saarbrücken und Bremen werden jetzt ähnliche Projekte versucht. Grüne Gemeinderäte und Initiativen erkundigen sich bei uns, wie wir vorgegangen sind, und vor allem aus Norddeutschland fragen Gemeindeverwaltungen an, ob man mit dem Aufbau von Gewerbehöfen vielleicht etwas gegen die Arbeitslosigkeit machen kann.“

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