: Fünf Tage Fälschen und noch kein Sieger
■ Mexikos Staatspartei PRI verzögert die Bekanntgabe des Wahlergebnisses immer weiter
Auch gestern, am fünften Tag nach der Wahl, gab der PRI -dominierte Wahlausschuß lediglich ein Zwischenergebnis bekannt. Nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmzettel liegt angeblich PRI-Kandidat Salinas mit 52,9 Prozent vorn. Der linksoppositionelle Cardenas kommt danach gerade auf 29,1 Prozent.
Gähnende Langeweile im großen Saal der nationalen Wahlbehörde, die im Gebäude des Innenministeriums untergebracht ist. Laut Verfassung müßte Innenminister Bartlett an diesem Sonntag abend - vier Tage nach den Wahlen - endlich das Endergebnis bekanntgeben. Statt dessen müssen die wartenden Journalisten mit dem Fernsehprogramm vorlieb nehmen. Offenbar als Dauerredner engagierte Reporter werden nicht müde zu beteuern, die Stimmenauszählung dauere nur deshalb so lange, weil nun in Mexiko ein neues Zeitalter das der Demokratie - angebrochen sei. Auch der Innenminister, Chef der Bundeswahlkommission, läßt mitteilen, man sei diesmal besonders sorgfältig bei der Arbeit: Man - das sind 16 Delegierte der Regierungspartei PRI, 12 der Opposition und noch fünf staatliche Honoratioren. Am späten Abend dann ein erstes, mageres Ergebnis aus zwei der insgesamt 300 Wahlkreise: Niemand im Saal wundert sich, daß der Innenminister zwei PRI-Gewinner ausruft.
Szenenwechsel. Wir sind in La Condesa, einem Mittelklasse -Viertel von Mexiko-City. Dauerregen prasselt auf das Gebäude, in dem sich die Wahlkreiskommission vier Tage nach der Wahl offensichtlich immer noch nicht einig geworden ist. Vor der Tür hat sich seit den frühen Morgenstunden schon eine bizarre Koalition gebildet: Die Anhänger der Sozialistischen Partei (PMS) - Jeans-Kluft dominiert - haben sich mit den geschminkten Girls der rechtsgerichteten „Nationalen Aktion“ (PAN) zusammengetan. „El fraude no pasara!“ („Der Betrug wird nicht durchkommen“), schreien sie den Soldaten und Polizisten entgegen, die das Gebäude abgeriegelt haben. Drinnen helle Aufregung. Die Wachposten wollen zunächst keine Journalisten durchlassen. Die Vertreter der Oppositionsparteien sorgen schließlich dafür, daß wir hinein- und ihre Beschwerden hören können: „Die PRI -Vertreter haben heute in 160 Wahlkreisen die Ergebnisse angefochten - und das zum Teil mit denselben Vorwürfen, die wir in den letzten Tagen gegen sie vorgebracht haben.“ Die Klage kommt von einem Vertreter der „Authentischen Revolutionspartei“ (PARM), die vor acht Monaten als erste Cuauhtemoc Cardenas als Kandidaten aufgestellt hatte. Doch kaum einer von ihnen hatte sich damals träumen lassen, daß der Sohn des immer noch populären Präsidenten der dreißiger Jahre mit 38,8 Prozent den PRI-Kandidaten Carlos Salinas de Gortari (32,67 Prozent) überrunden würde - jedenfalls, wenn man Cardenas eigener Verlautbarung Glauben schenkt, der sich auf anonyme Quellen innerhalb der Regierungspartei beruft.
Nachdem PRI-Kandidat Salinas schon am Tag nach der Wahl seinen Sieg bekanntgegeben hatte, mußten sich die Regierungsstrategen einiges einfallen lassen, um keine Niederlagen zugeben zu müssen. Immer wieder ließen sie die 300 Wahlkommissionen zu den von Soldaten streng bewachten Kämmerchen gehen und die versiegelten Kartons mit den Stimmzetteln Mal um Mal erneut öffnen. Einmal, weil im Bulletin eines Wahlkreises ein Querstrich statt einer Null für irgend einen total erfolglosen Kandidaten verzeichnet war; ein andermal, weil die sogenannte „zusätzliche Wählerliste“ - derjenigen, die einen Wahlausweis vorweisen können, aber nicht im Wählerverzeichnis auftauchen - zu umfangreich geworden war. Nach den Bestimmungen mußte eigentlich jedes Wahllokal geschlossen werden, wenn die „zusätzliche Liste“ auf 10 Prozent der im Wahlverzeichnis Eingetragenen angewachsen war. Wer dann noch kam, sollte zu anderen Wahllokalen weitergeschickt werden - wo sich das Spiel wiederholen konnte...
Nervosität herrschte am Sonntag vor allem bei der Regierungspartei. Der im Sold der PRI stehende Fernsehreporter Jacobo Zabludowski verlor fast die Fassung, als er seinen Zuschauern mitteilen mußte, daß Angehörige der Rechtsopposition PAN seit dem Vortag die Grenzübergänge zum nördlichen Nachbarn in Cuidad Juarez blockiert hatten. Schon am Tag nach der Wahl war die besonders US-freundliche PAN dazu übergegangen, die PRI des Wahlbetrugs zu beschuldigen, und hatte am Samstag eine Massenkundgebung auf dem Hauptplatz von Mexiko-City veranstaltet, an der 50.000 Menschen, die meisten Angehörige der Mittelklasse, teilnahmen. Ihr Kandidat Manuel Clouthier, Eigentümer von 14 Unternehmen, rief vorsorglich zum zivilen Ungehorsam auf und kündigte für den 30.Juli ein eigenes Plebiszit über Fälschung oder Nicht-Fälschung an. Nach seiner Rede marschierte die Menge unter der salbungsvollen Anleitung eines pazifistischen Yoga-Meisters auf den Nationalpalast zu, nach dem Motto: Jetzt schließen wir alle die Augen und denken uns jene weg, die uns mit ihrem Wahlbetrug den Weg verstellen wollen. Wie es die noch regierende PRI tatsächlich mit der Demokratie hält, war dann während des Wartens auf Wahlergebnisse mit wünschenswerter Deutlichkeit aus dem Munde des Senators Rigoberto Ochoa zu erfahren, Mitglied der obersten Wahlkommission und zugleich politischer Sekretär des PRI-Gewerkschaftsverbandes CTM. Nach einer möglichen Koalitionsregierung befragt, antwortete er ganz entrüstet: „Niemals! Wir sind doch nicht so dumm, uns selbst Trojanische Pferde in die Regierung zu setzen.“
Leo Gabriel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen