: Gottesverzehr
■ Zum Gotteslästerungs-Verfahren gegen die taz / Katechismuslesung im Berliner Amtsgericht
Es ist hauchdünn und klebt am Gaumen. Mit der Zunge versuche ich vorsichtig, es zu lösen. Aber es will nicht. Draufbeißen ist verboten, das täte ihm ja weh. Den Leib Christi darf man nicht kauen, sagt der Pfarrer. Darf man doch, sagen meine Eltern. Die Schulkinder in den Kirchenbänken feixen. Jedem, der von der Kommunionsbank zurückkommt, wird aufs Maul geschaut: wehe, wenn einer kaut. Das gibt Prügel, später, in der großen Pause.
Wenn es mir dann doch gelungen war, diesen hauchdünnen Leib ohne Zuhilfenahme der Zähne auf der Zunge zergehen zu lassen und beim Schlucken sogar etwas zu schmecken, war ich selig. Und satt, eine Woche lang satt.
Von all diesen Qualen eines siebenjährigen Mädchens hat die Staatsanwältin offenbar keine Ahnung. Sie beschwert sich darüber, daß die Karikaturen auf der inkriminierten taz -Seite auschließlich dicke, gefräßige Christen zeigen. Mit Schlabberlatz. Mindestens zehnmal sagt sie: Feist. Schon alleine dieses Feiste sei ehrverletzend. Und in der Anklageschrift ist von einer feist aussehenden Person die Rede. Was immer der Unterschied zwischen feist und feist aussehend sein mag: Hätte die Staatsanwältin auch nur einmal im Leben dieses himmlische Gefühl der Sättigung nach vollzogener Kommunion erlebt, ihr käme das Wort „ehrverletzend“ nicht mehr über die Lippen. Sie ist keine Katholikin, sagt sie.
Berliner Amtsgericht, Dienstag morgen, Raum 370. Anklage gegen die taz, Paragraph 166, Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses (siehe taz vom 5.7.88). Der Volksmund nennt das einen Gotteslästerungs-Prozess. Johnny Eisenberg, ein stadtbekannter Szene-Anwalt, erläutert die Transsubstantiationslehre. Nach den Worten des Priesters „Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut“ - klingelt das Glöckchen; in diesem Moment findet die Wandlung statt. Die Verwandlung von der schnöden Hostie in Fleisch und Blut Christi. Logische Konsequenz: Kommunion ist Menschenesserei. Das ist Glaubensgeheimnis. Nur ist es anders formuliert.
Allmählich gerät der Anwalt in Fahrt. Er erzählt von den blutenden Hostien, der Wunderblutkapelle in Wilsnack, Mark Brandenburg, und die Geschichte von der Bäckerin, die Papst Gregor auslachte, weil sie doch selbst die Oblaten gebacken hatte und wußte, daß es bloß Brot ist und kein Fleisch. Da streckte der liebe Gott seinen kleinen Finger aus der Hostie. Auch die Allgemeine deutsche Realenzyklopädie aus dem 19.Jahrhundert wird Richter Scholz nicht vorenthalten. Dort ist von Theophagie die Rede, Gottesverzehr. Dagegen hat noch keiner prozessiert.
Aber den Richter scheint das nicht zu beeindrucken. Er hat es mehr mit den Leserbriefen: auch taz-Leser seien empört gewesen über diese geschmacklose Kombination von blutschleckenden Kommunionsgängern, Kannibalismus-Artikel und Abendmahlsworten. Er liest vor: „Da ist immerhin von Fleischessen und ... das ist unleserlich...“. Einwurf Eisenberg: “...Bluttrinken wahrscheinlich“. „Nein, nein“, sagt der Richter, „irgendwas mit eitrig“. (Er stolpert übrigens nicht nur über die allzu deftige Kost, auch die Säzzerbemerkungen machen ihm Kopfschmerzen: „d.S. - was ist das?“)
Man stelle sich das vor: Ein linker Anwalt, sonst zuständig in Sachen Demonstranten gegen Polizisten, verteidigt vor einem bürgerlichen Gericht das Geheimnis der Heiligen Eucharistie. Jetzt ist Johnny nicht mehr zu bremsen. Erzählt vom Vegetarier, der beim Bischof von Basel anfragte, ob er als Fleischverächter überhaupt den Leib Christi zu sich nehmen dürfe, worauf der Bischof passen mußte und einen Lebensmittelchemiker beauftragte. Dessen Antwort: Ja. Weiter geht's mit Paulus und dem Dionysos-Kult. Regieanmerkung des Verteidigers: Bevor die Wirkung des Artikels geklärt werden könne - die Frage also, ob der Inhalt eines religiösen Bekenntnisses beschimpft worden ist oder nicht - , müsse doch zunächst die Bedeutung dieses Bekenntnisses überhaupt geklärt werden. Schließlich streiten sich die Kirchen seit eineinhalb Jahrtausenden darüber. Luther, Calvin, Zwingli, Konzile, Bischöfe, Päpste - keiner, den die Eucharistie nicht in die Bredouille gebracht hätte. Die Protokollführerin kommt gar nicht mehr nach.
Bloß Richter Scholz hat keine Probleme. Den Beweisantrag der Verteidigung auf Anhörung eines Sachverständigen, etwa des Religionswissenschaftlers Klaus Heinrich, lehnt er ab. Die juristische Formel lautet: Die von der Verteidigung im Beweis-Antrag behaupteten Tatsachen können als wahr unterstellt werden. Eucharistie ist Gottesverzehr. Na bitte.
Dem zweiten Antrag, „Teile des katholischen Erwachsenenkatechismus in der geltenden Form“ zu verlesen, wird stattgegeben. Erwachsenenkatechimus? Der Richter scheint irritiert. „Was, den Erwachsenenkatechismus kennen Sie nicht? Also, Herr Vorsitzender!“ Und der Anwalt liest vor. Der Richter liest derweil lieber die taz. Verkehrte Welt.
Links vom Richter sitzt ein Schöffe, der amüsiert sich.
Rechts sitzt einer, der schläft. Zeitweise. Als der Richter den Kannibalismus-Artikel, diesen ganzen Schweinskram in atemberaubender Geschwindigkeit herunterleiert - “... dann schlägt jener ihm auf den Kopf, daß das Gehirn herausspringt...“ -, sinkt sein Kinn auf die Brust. Vielleicht lauscht er ja auch nur andächtig. Beim Katechismus dagegen scheint er hellwach.
Bestimmt ist er einer der Durchschnittsleser, auf die sich die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer beruft. Jeder normale Leser, nicht nur ein Christ, sehe doch sofort, daß hier „das Abendmahl in den Dreck gezogen“ wird. Die Angeklagte hält später dagegen: Eine Zeitung, die sich nach dem Durchschnitt richte, sei eine schlechte Zeitung.
Natürlich hat der Text als solcher keinen direkten Bezug zum Leiden Christi. Das muß die Staatsanwältin zugeben, nachdem die Verteidigung gleich zu Beginn klargesteltt hatte, daß der Artikel von Christian Röthlingshöfer-Spiel nicht von einem nicht identifizierbaren Autor stammt (so die Anklageschrift), sondern aus einem Buch. Von Christian Spiel, damals wohl noch unverheiratet. „Menschen essen Menschen“, der Richter blättert neugierig, aber er muß es wieder hergeben. Das Buch ist vergriffen. Am eurozentristischen Blick auf die Riten heidnischer Kulturen, am Rassismus des Herrn Spiel stört sich die Staatsanwaltschaft nicht, sagt die Verteidigung. Das ist auch nicht verboten. Die Umkehrung dagegen - der heidnische Blick auf das abendländische Ritual - gefährdet den öffentlichen Frieden. Die Staatsanwältin präzisiert: „Es kommt nicht darauf an, ob der öffentliche Friede konkret gestört worden ist, es genügt die Gefahr der Gefährdung.“ So steht es im Paragraphen. Sie „bedankt“ sich beim Gegner für dessen Belehrungen, sie ist richtig wütend. Aber das darf sie nicht zeigen.
Es ist Zeit fürs Mittagessen. Ein letztes Mal holt sie aus: „Die Eucha...die Euras... die Euris..., na jetzt laß ich das mal“.
Christiane Peitz
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