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AN DER ERDE ZERDRÜCKT

■ „Mariameneo, Mariameneo“ aus Spanien bei der E88-Werkstatt

Der Raum im Ballhaus Rixdorf ist mit schwarzem Stoff verkleidet. Es ist sehr warm. Auf der Bühne steht Gerümpel herum wie auf einem alten Speicher: alte Koffer und Kisten, eine Heugabel, eine Schnapsflasche, verschlossene Türen und Fenster, Nähmaschine, Bügelbrett, eine Zinkwanne für die Wäsche, Wäscheleinen, die das Bild umrahmen. Andalusisches Erinnerungsmaterial. Sehr düstere, strenge Bilder einer in der Hitze faulenden Familienmaschine, deren Trostlosigkeit durch das unauffällige, aber ungeheuer präzise Licht hervorgehoben wird. Immer wieder erstarrt alles zur Photographie. Das Photographieren ist auch der Ausgangspunkt des Stücks; jemand schiebt gebeugt und altersschwach eine Holzkamera auf die Bühne und bannt das Mottenkleid nie erfüllter Sehnsüchte, ein Kleid, das nie für ein Versprechen gut war, auf die Platte.

Alte Menschen zetern zahnlos, guttural über die leere Zeit. Monoton und hart ist das Leben, keine Abwechslung zwischen Waschen, Bügeln, Nähen und Totenwachen. Alles im selben Rhythmus, markiert durch die Frage der Tochter: wie spät ist es? Abgedroschene alte Schlager verstärken die Hoffnungslosigkeit.

Mariameneo ist eine verrückte Mutter Courage vor dem Tod, im Mittelpunkt der Verzweiflung. Sie bricht aus dem Kreis der Nachbarinnen, der Näherin, der Wäscherin, der Büglerin; sie trocknet sich die Tränen mit den schmutzigen Hosen ihres verstorbenen Mannes - immer wieder werden diese Hosen gewaschen - sie spricht mit den Gegenständen, sie baut Barrikaden aus dem Gerümpel, um sich gegen ihre Gespenster zu verteidigen. Es ist schwer zu ordnen, selbst, wenn man die Rohübersetzung des Stücks kennt. Ein sehr schöner, poetischer Text, den man, der spanischen Sprache nicht mächtig, während der Aufführung nicht versteht. Für mich ist das Stück ein anderes als für den Spanier; andere Sprache, andere Erinnerungen, andere Gesichter. Die Verzweiflung, Grundthema von 'Mariameneo‘, erscheint in diesem kargen Theater nicht so eng, nicht so brutal wie im Deutschland der Existenzphilosophie. Sie hat ihre Wurzeln in kollektiven Geschichten, die eine merkwürdige Hoffnung vermitteln, auch wenn die Verzweiflung des Kollektivs monologisch bleibt.

Die Personen sind nicht nur erdgebunden, sie werden an der Erde zerdrückt. Es gibt keine sinnvolle Geschichte in der Monotonie, es kann keine geben, das ist ihr Merkmal. Sie sprechen, sie streiten, wer weiß, über was für merkwürdige Fetzen und Erinnerungen.

Die Bilder werden starr in der Hitze und halten den Atem an, gerinnen zwischen Holz und Staub, den alten Dingen, im engen, drückenden Speicher fremder, spanischer Erinnerungen, aus denen es keinen Ausweg gibt.

Abrupt wird die Musik, ein sich wiegender Trauermarsch, musikalisches Grundthema laut. Man erschrickt, aufgeweckt aus der Monotonie, die man gebannt verfolgte (wer sich an die großartige Trauerfeier für Tschernenko erinnert: als ob der Sarg sich plötzlich öffnete und ER die ihn Grüßenden gegrüßt hätte). Drei Kapuzenmönche entzünden mit den schlanken, hohen Wäschestangen weiße Totenkerzen. Parusie, Theophanie. Die Musik wird triumphierend. Es hat die ernste, grausame, feierlich-heidnische Atmosphäre einer Prozession. Ein Baldachin erscheint, auf dessen Sockel Maria, die Alte, steht und sich langsam auflöst. „Laßt Gott aus dem Spiel / nur die Menschen haben die Schuld.“

Maria stirbt zwischen geifernden Nachbarn, betrunkenen Söhnen. Sie protestiert. Was ist der Nutzen der Frauen? „Sie sollen weinen und sich verzehren. Und trauern. Die Trauer haben sie geerbt. Sie kleiden sich schwarz, das ist das einzige, was ihnen gelassen wurde. Aber die Trauer, Tochter, muß man am Garderobenständer hängenlassen. Immer haben die Frauen die Beine breit gemacht, für jeden, der es wollte.“ Sie versucht auszubrechen, den Koffer in der Rechten, ein Bündel in der Linken - kein Zug fährt. Schließlich wird sie verrückt und bekommt christologische Züge: nach Golgata mit der Leiter auf der Schulter, den Pinsel als Zepter in der Hand, die Langeweile zu weißen. „Wenn ich sterbe, laßt den Balkon geöffnet.“

Detlev Kuhlbrodt

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