: Standbild: Normal Null
■ Ausbruch der Gefühle - Woher kommt Monika Weimar?
Ausbruch der Gefühle - Woher kommt Monika Weimar? (ARD, Donnerstag, 20.15 Uhr) Ein Dorf wie aus dem Baukasten der elektrischen Modelleisenbahn. Zäh mahnen Kirchenglocken und Werksirene. Im satten Grün klotzen triste Mietshäuser. Porentiefe Weiß-Wäsche wogt im Wind. Dazwischen wohlverteilt geschleckte Bürgersteige und Mittelklassewagen. Spitzenschabraken, Jalousien und Festerläden verbergen Blümchentapete, Wachswisch-Tischtuch und Gottes Segen, geschmiedet, geschnitzt und an die Wand geschweißt. Kantenschlag im Sofakissen. Drumherum Taubenzüchterverein, Kirmes und Kontra-Supermarkt. Deutschland privat in Kittelschürze und Lockenwickler. Die Rechnung der Klischees geht auf in Röhringshof, Ortsteil Nippe, Nähe Philippstal, Zonenrandgebiet. Geburtsort von Monika Weimar, im Januar dieses Jahres wegen Mordes an ihren beiden Töchtern zu lebenslanger Haft verurteilt.
Eineinhalb Jahre mischte die Presse das verschlafene Nest auf, jeder wurde zu seiner Meinung befragt, ob er wollte oder nicht. Viele wollten, viele wollen aber auch endlich ihre Ruhe haben. Was aber die Journalistin Ruth-Esther Geiger nicht daran hindert, ein halbes Jahr nach dem Urteil das mediengebeutelte Dorf erneut heimzusuchen, mit Kamerateam im Schlepptau. Sie rollt die ganze Story noch mal auf, hangelt sich an der breitgetretenen Prozeßberichterstattung entlang und spickt das Ganze mit Archivaufnahmen und schönen Stimmungsbildern.
Den Dorfbewohnern wird Naivität vorgeworfen. Sie seien unerfahren mit den Medien, beantworteten alle Fragen und verkaufen sogar Fotos und Interviews. Im Gegenzug werden ihnen naive Fragen gestellt. Und wohlfrisiert und bestrickt wie Kartoffelsäcke in Liegestühle und Sessel gedrückt, antworten sie, wie man/frau es erwartet hatte: Alle Frauen fühlen sich als Mütter zu Expertinnen berufen im Fall Weimar. Sie sind rach- und tratschsüchtig, der Farbfernseher flimmert vor Erschütterung bei diesem Hexenhaß, diesem offensichtlichen Mangel an Mitgefühl. Die Frauen sind fies und neidisch, die Männer trinken Bier, halten zusammen, wortkarg und zugeknöpft. Was nicht normal ist am Normalen, sagt allein Psychiatrieprofessor und Prozeßgutachter Willi Schuhmacher: Für viele Frauen besteht ein Gegensatz zwischen Sexualität und Mutterschaft. Frauen, die ihre sexuellen Wünsche ausleben, lassen ihre Kinder im Stich. Das tut eine deutsche Mutter nicht! Warum unterwerfen sich die Frauen in Röhringsdorf, Neheim-Hüsten oder sonstwo jahrtausendalten Tabus? Warum heiraten sie mit 19 Jahren und werden Mütter? Was haben sie für Ängste, Sorgen, Träume, Hoffnungen? Was wünschen sie sich für ihre Töchter? Das alles sind Fragen, deren Beantwortung vielleicht zeigen könnte, woher Monika Weimar wirklich kommt. Zur Zeit sitzt sie im Frauengefängnis in Frankfurt und wartet auf ihre Revision. Auch sie durfte sich den Film ansehen.
Caroline Schmidt-Gross
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