: Taktvolle Taten-betr.: "Nehmet hin und esset",taz vom 5.7.88,Leserbriefe dazu in der taz vom 14.7.88
■ Betr.: die empörten und nach Takt wimmernden Katholiken/Christen,taz vom 14.7.88
betr.: „Nehmet hin und esset“, taz vom 5.7.88, Leserbriefe dazu in der taz vom 14.7.88
An die taz-menschen in der berliner und hamburger redaktion, die seit geraumer zeit glauben, kirche und religion in der taz zum thema machen zu müssen und an/für alle, die ob des artikels meinen aufheulen zu müssen, folgendes:
sie lassen sich hoffentlich nicht mehr lange äffen, foppen und narren, sondern stecken eines schönes tages die kruzifixe und heiligen in den ofen, verwandeln monstranzen und kelche in nützliche geschirre, benützen die kirchen als konzert-, theater- oder versammlungslokale, oder, falls sie dazu nichts taugen sollten, als kornspeicher und pferdeställe, hängen die pfaffen und nonnen ins glockenhaus und können nur das eine nicht begreifen: wieso es kam, das nicht schon längst derartig verfahren wurde.
dieser kurze, bündige und einzig praktikable prozeß wird sich natürlich erst im sturme der kommenden sozialen revolution vollziehen, das heißt, in dem augenblicke, wo man auch mit den komplizen der pfaffheit, den fürsten, junkern, bürokraten und kapitalisten „tabula rasa“ macht, staat und gesellschaft aber, gleich der kirche, mit eisernem besen gründlich ausmisten wird. (johann most, aus: die gottespest).
Rainer Wölfert, Hamburg 50
betr.: Die empörten und nach Takt wimmernden Katholiken/Christen, taz vom 14.7.88
Hans aus Hamburg findet in alter deutscher Manier Satire sündig und kann darüber nicht lachen, wenn ihm einer seine Transsubstantion madig macht. Er findet es unappetitlich und politisch dumm, ja taktlos, und er wettert gegen den Unverstand hinsichtlich eines verwickelten religionsgeschichtlichen Phänomens. Das ist sein gutes Recht. Andere Leute finden eben ganz andere religionsgeschichtliche Phänomene unappetitlich: die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen, den misionarischen Genozid an Indios, die Kollaboration mit Faschisten und Nazis, das Beklatschen und die Rechtfertigung des Feldzuges gegen das unchristliche Rußland, und nicht zuletzt die Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis - eine kleine, wenn auch repräsentative Auswahl der taktvollen Taten der Kirche. Aber vermutlich bin ich da der moralischen Gewichtung der verglichenen Tatbestände nicht gewachsen.
Nicht minder peinlich versteigt sich in diesem Zusammenhang Alois aus Berlin zu den abstrusesten Gedankengängen, klagt über Angriffe auf die Gläubigen und ihre Kirchen, wähnt schon die Verhöhnung von KZ-Opfern im Anmarsch etc. Die bloße Lust, mein lieber Alois, das unverstandene Fremde nicht nur zu verspotten, nein, es sogar zu vernichten, war immer eine der Lieblingsbetätigungen deiner um die Transsubstantionslehre ach so bemühten, ach so moralischen und in ihrer Heiligkeit unanfechtbaren Kirche. Zu den Verfolgten gehörten und gehören natürlich auch Schwule, In wie Ausländer und Minderheiten jedweder Provinienz. Daß also ausgerechnet eine Organisation und ihre Lehre, die die Inkarnation, von mir aus auch die Transsubstantion, der Intoleranz, der Menschenverachtung und der Raffgier darstellt, für die höheren menschlichen Werte in Anspruch genommen werden soll, daß sich Ignoranten wieder mal an falscher Stelle empören, dieser Art Volksverdummung fällt hoffentlich niemand mehr zum Opfer. Die Gralshüter der unbefleckten Empfängnis und Aufbewahrer von Präputien Jesu Christi sind eben keine moralische Referenz oder sonstwie schützenswert:
Glaubt nicht, daß ich fasele, daß ich dichte
Geht hin und findet mir andre Gestalt!
Es ist die ganze Kirchengeschichte
Mischmasch von Irrtum und von Gewalt
(der dezidierte Nichtchrist Johann Wolfgang von Goethe)
Thomas Platzbecker, Bonn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen