: K A R L A U G U S T V A R N H A G E N
■ D E M V O L K A L S F E I N D
Sonntag, den 12. November 1848
Besuch von Weiher. Zeitungsnachrichten, Gerüchte. Die Bürger sind in höchster Erbitterung, viele haben die Nacht über in Berathung zugebracht. Man spricht von Verhaftbefehlen gegen Rimpler und Unruh, gegen die ganze Nationalversammlung. In Frankfurt an der Oder Unruhen, in Breslau - so heißt es Aufstand. Viele Leute sprechen von offener Gegenwehr. Steuerverweigerung steht in Aussicht. Aber nichts schreckt die Reaktion, sie fühlt sich im Vortheil und wird ihn gebrauchen, bis er in ihren Untergang umschlägt.
Ich ging noch vor Tisch aus. Unter den Linden ist angeschlagen, daß die Bürgerwehr aufgelöst sei, dicht daneben, daß Wrangel vom demokratischen Klub als Volksverräther erklärt ist; auch ein Anschlag der Nationalversammlung erklärt die Auflösung der Bürgerwehr für ungesetzlich, alle diejenigen, die dazu gerathen oder helfen, für Verräther. Man muß gestehen, der Muth ist groß, der all dies wagt, im Angesicht von 20.000 Soldaten! Die Bürger müssen mit aller Anstrengung abgehalten werden, daß sie nicht den Kampf versuchen.
In den Straßen ziehen starke Truppenabtheilungen umher, ganz gerüstet, schweigend, ganze Kompanien und Battaillone, das Volk sieht sie an, alles ist ruhig. Nachmittags kam Graf von Keyserling, er hatte eben auf dem Schlosse Wrangel gesprochen, der ganz lustig und grimmig war und nur wünschte, daß der Augenblick käme, die Waffen zu gebrauchen. Dieser Zustand der Ruhe macht ihn ganz ängstlich und mißtrauisch; in der Nacht empfing er die Meldung, die Bürger wollten die Soldaten im Schlaf überfallen und entwaffnen, und sogleich erließ er den Befehl, alle Truppen sollten angezogen sein und wach sitzen!!
Ich ging aus; allerlei Gruppen, besonders las man eifrig die Anschläge, deren einer, vom demokratischen Klub ausgehend, die Soldaten geradezu auffordert, Wrangel'n und seinen Offizieren nicht mehr zu gehorchen. Auf der Bank war ein Bataillon von 900 Mann zur Besatzung. Was soll daraus werden? fragt jedermann. Niemand weiß eine Antwort. Die Regierung erscheint dem Volk als Feind. Der Haß gegen den König steigt ungeheuer.
Als ich nach Hause ging, waren die Plakate, wodurch für Berlin der Belagerungszustand ausgesprochen wird, schon angeschlagen; es war schon dunkel, aber beim Schein der Laterne wurde der Zettel gelesen, von dichten Gruppen. Hohngelächter, Schimpfworte, Unmuthsausbrüche hörte ich; von einem jungen Menschen vor der Bank, den etwa fünfzig andre eifrig anhörten, die bestimmtesten Aufforderungen, Wrangel und Brandenburg zu tödten, nicht die Soldaten, aber die Generale und Offiziere, die müsse man auf's Korn nehmen, den schuftigen Ministern kurzweg den Hals umdrehen.
Aus Karl August Varnhagen von Enses 'Journal der Revolution. Tagesblätter 1848/49‘, neu erschienen 1986 in der Reihe 'Die Andere Bibliothek‘. Der Diplomat Varnhagen von Ense wurde 1819 wegen seiner liberalen Anschauungen aus dem Dienst Preußens entlassen, er war fortan als Rezensent und Publizist tätig. Der von ihm erwähnte Graf von Wrangel war preußischer Generalfeldmarschall, unter seinem Befehl zogen am 10.11. 1848 die Truppen in Berlin ein. Ausgewählt von
Michael Trabitzsch
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