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Krise in Jugoslawien

■ Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche / Markt als Lösung?

Paris/Berlin (dpa/taz) - Die Entwicklung der jugoslawischen Wirtschaft war 1987 keineswegs zufriedenstellend. Dies erklärt die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem jüngsten Lagebericht. Das Sozialprodukt, für das ein Wachstum von drei Prozent vorausgesagt worden war, ging um 0,5 Prozent zurück. Dabei sanken der private Verbrauch um ein Prozent, der Staatsverbrauch um drei Prozent und die Investitionen um vier Prozent. Die Arbeitsproduktivität verringerte sich deutlich und die Nettogewinne der sozialisierten Betriebe fielen um real 20 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg bis März 1988 auf 1,13 Millionen.

Gleichzeitig beschleunigte sich die Inflation dramatisch und erreichte im November 1987 (vor der Einführung der Preiskontrollen) eine Jahresrate von 250 Prozent. Im Jahresdurchschnitt lag sie bei 171 Prozent und im April 1988 trotz der Preiskontrollen bei 160 Prozent. Die einzige positive Entwicklung war ein Leistungsbilanzüberschuß von 1,04 Milliarden Dollar, der höchste der vergangenen fünf Jahre. Er resultierte allerdings mehr aus strikten Importkürzungen, die zu einem Importrückgang um fast sechs Prozent führten als aus einem Auftrieb der Exporte (plus 0,5 Prozent).

Einschließlich der Kapitalbewegungen blieb die Zahlungsbilanz jedoch mit 1,07 Milliarden Dollar im Defizit, wobei sich der größte Kapitalabfluß durch knapp vier Milliarden Dollar Schuldenrückzahlungen ergab. Dennoch erhöhten sich Jugoslawiens Auslandsschulden bis Dezember 1987 auf 20,24 (Vorjahr: 19,03) Milliarden Dollar.

Nach Ansicht der OECD-Experten kann die jugoslawische Wirtschaft ohne dauerhafte Verringerung der Inflation nicht zu ausreichendem Wirtschaftswachstum zurückfinden.

Zur Stärkung der Zahlungbilanz befürworten die Experten eine Verlagerung des Schwerpunktes vom Importersatz zur Exportförderung. Jugoslawien sei zu klein, um auch nur eine begrenzte Autarkiepolitik zu betreiben. Schutz vor Importen bedeute hier Schutz für unwirtschaftliche Produzenten.

Die OECD empfiehlt daher eine Senkung der Zölle, den Abbau anderer Importbeschränkungen und die Liberalisierung der Devisenmärkte. Die Regierung sollte ferner jede Einmischung in die Investitionsentscheidungen der Wirtschaft unterlassen. Je weniger sie hier eingreife und je mehr sie ein einheitliches Bankensystem und einheitliche Kapitalmärkte fördere, umso größer seien die Chancen zum Wohle des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems sich einer Marktwirtschaft anzunähern. Seit Mai läuft in Jugoslawien ein wirtschaftspolitisches Sanierungsprogramm unter Federführung des Internationalen Währungsfonds. Bereits Anfang Juni hat die jugoslawische Regierung ihrerseits ein weitreichendes Reformprogramm vorgestellt. Den dort formulierten Vorstellungen zufolge sollen zukünftig Verluste erwirtschaftende Betriebe nicht mehr subventioniert und Bankrott-Unternehmen nicht mehr länger künstlich am Leben erhalten werden. Darüberhinaus ist vorgesehen, eine marktorientierte Preisgestaltung einzuführen und durch die Ausgabe von Aktien und Wertpapieren einem neu einzurichtenden Kapitalmarkt finanzielle Mittel zuzuführen. Die Regierung erhofft sich auf diesem Wege, die Spargelder der jugoslawischen Bevölkerung in die Wirtschaft pumpen und auch das im kapitalistischen Ausland angelegte Geld zurückholen zu können.

In Expertenkreisen werden diesem Programm allerdings nur wenig Erfolgschancen beigemessen. „Ich glaube nicht daran“, so der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Wladimir Gligorow. Die gleichen Leute, die heute die Marktwirschaft hochhalten, „haben die Demokratie bis gestern noch als Klasseninstitution und den Markt als ein Instrument der Konterrevolution bezeichnet.“ Glasnost tut Not.

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