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Die unschuldigen Teufel

■ Ein Märchen

Da gab es einen Fischer, der hatte zwei Söhne und eine gute Haut. Als die Kinder zu schreien aufgehört hatten, nahm er sie mit auf den See und zeigte ihnen das Stillsein. Es stellte sich heraus, daß der ältere sowieso still war; der Vater setzte sich zur Ruhe und schickte den jüngere auf den Markt. Dem wurde es dort bald langweilig, und er fing an zu studieren. Weil er es ganz genau wissen wollte, mußte er immer Unterschiede machen. Es traf sich, daß der ältere in diesem Jahr ungewöhnlich schwere Fische an Land zog, und es wurde ein Mikroskop gekauft. Der neugierige Bruder machte sein Physikum; stolz sagte der Vater dem eigenen Blut die Zukunft voraus. Der Sohn nahm ihn beim Wort, und sie feierten lang. Zu der Zeit wurde der ältere auf dem Markt verhaftet und kam wegen Drogenhandel ins Gefängnis. Der Bruder stellte Untersuchungen an. Er zerforschte das Blut, fand ein Mittel gegen die Seuche und gewann den Nobelpreis. Da freute sich der Fischer und baute ihm ein Haus. Das ärgerte den Sohn, der eigentlich ein Herz brauchte. Der Alte versprach es. Am nächsten Morgen läutete die Glocke. Gegen Mittag kamen die Studenten, die die Spenden abholen wollten. Sie schnitten den Fischer auf, aber die Leiche war leer. Der jüngere hing seit Stunden in der Luft, auf dem Weg zum Kongreß. Der ältere wurde auf Bewährung entlassen. Er ging eines Abends, als der See sich für die Nacht zusammenzog, ins Wasser und ward nie mehr gesehen.

Elisabeth Schraml

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