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Bataille-betr.: "Die Heiligkeit des Bösen", taz vom 15.7.88

betr.: „Die Heiligkeit des Bösen“, taz vom 15.7.88

Gegenüber marxistischer Kritik und postmoderner Vereinnahmung grenzt der Autor - zu Recht - Bataille ab; jedoch fällt er dann doch wieder auf den „heiligen Schauer“ herein, den es wohl bereiten muß, Bataille einen „Nachfolger Nietzsches“ zu nennen. Ich finde, es gibt kaum einen größeren Schaden, den man Bataille zufügen kann. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Nietzsche und Bataille: dieser hat die Menschen geliebt, jener hat sie gehaßt. Doch auch jener Haß ist im Grunde „nur“ enttäuschte Liebe gewesen, wie jeder Haß. Die Hagiographen Nietzsches haben es versäumt, dem Haß umfassend auf die Spur zu kommen, seine ganze Bedeutung zu ermessen. Um eine Hagiolatrie, Verklärung Batailles zu verhindern, sollte man doch bitte auch die Art der „Eingekerkertheit“ der Äußerungen seiner Liebe gründlich beleuchten, nicht nur oberflächlich, modisch („Grenzerfahrungen“, „innere/äußere Bedrohung“ etc.). Offenbar ist auch den „echten“ Bataillanern, den Verfassern von Standardwerken usw., nur daran gelegen, ihn zu „ihrem Bataille“ zu machen, ihn nur von Mißverständnissen und Vereinnahmungen abzugrenzen.

Die Bedeutung Batailles ist jedoch immens, und man darf daher nicht, auf keine Weise, im Bann Batailles und seiner Austrahlung gefangenbleiben, man muß diese Bedeutung allgemein zugänglich machen, muß ihn in „verständliche“ Sprache „übersetzen“, soweit nur möglich! - Bataille hat daran gelitten, sein „Außersichsein“ nicht adäquat seinen Mitmenschen mitteilen zu können, er konnte dies nur literarisch, er war verklemmt und hat dies rationalisiert damit, daß die Erfahrungen, über die er schrieb, eigentlich nicht vermittelbar, gesellschaftlich nicht umsetzbar seien, daß „Sorge um die Zukunft“ und „Gegenwärtig-Sein“ miteinander unvereinbar seien. Soviel daran auch - zumindest in unserer Gesellschaft - wahr ist, so sehr hat doch auch Bataille sein Leiden an der Entsinnlichung unserer Welt „überstrapaziert“.

Dieses persönliche Leiden vom gesellschaftlichen abzutrennen, wäre erste Voraussetzung dafür, daß Bataille „übersetzt“ werden könnte, denn im Laufe dieser Auseinandersetzung verlören die Bataillaner ihre abstoßende, verklemmte, anämische Ausstrahlung, von der auch Bataille gezeichnet war und welche sowohl ihn als auch seine „Schüler“ beeinträchtigt.

Die Furcht Karl Marx‘ vor allem, „außerhalb der Ratio“ Liegenden ist es, die sein Werk und seine gesellschaftliche Wirksamkeit bis heute beeinträchtigen: die allermeisten (wenn nicht alle) Marxisten haben sich bis heute von diesem Bann nicht lösen können; sie glauben, solche „zu persönliche“ Marx-Kritik erlaube es ihnen nicht mehr, Marxist zu sein - doch in Wahrheit wollen sie damit nur sich selbst vor „zu“ tiefer Kritik schützen... ebenso wie die Gedanken von Marx sind auch die Batailles zu bedeutend, zu epochal, um weiter auf so engstirnige, bornierte Weise mit ihnen umgehen zu können, zu dürfen. Bataille - wie Marx hat sich immer gegen eitle Unaufrichtigkeit gewandt: dieses anämische „Leiden“ der Bataillaner an der Entsinnlichung aber ist zutiefst eitel - es sollte durch echtes, umfassendes Leiden „ersetzt“ werden, denn durch dieses fänden die Bataillaner (dito die Marxisten) endlich zu den Menschen, zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, etwas, das Bataille - leider - versäumt hat. Dies darf man nicht übersehen, nicht verschweigen, wenn man die tiefen, bedeutenden Werte Batailles „retten“ will...!

Lothar M. Riemenschneider, Hamburg 76

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