: Hör-Funken
(Hessen 2, 1500-1530 und 1530-1600) Wir Deutschen. Die höchst bedeutsam-besondere 'Beziehung‘ von 'uns Deutschen‘ zum Wald - das Rauschen deutscher Blätter, das Irren deutscher Hänsel und Gretel durch die düsteren Baumlabyrinthe, wo allerlei Hexen wohnen, überhaupt die echt deutsche Waldeinsamkeit („Ach, einz'ge Freude, Waldeinsamkeit!“ schwärmte Ludwig Tieck) - hat durch die waldige Seelenlandschaft eine lange lyrische Schneise geschlagen: unzählige Gedichte, in denen das tiefe Gefühl, auch so ein Nationalnarkotikum des deutschen Autobahnbenutzervolks, silbenschluchzend unter Wipfeln einherwandelt und sich gründlich an sich selbst berauscht. Kein Wunder, wenn nach jahrhundertelangen Exzessen endlich auch in der Waldlyrik Katerstimmung ausbricht und bei dem koboldhaften Dichter Wilhelm Busch auf das Zauberwort 'Waldeinsamkeit‘ nur noch die Groteske bechernder Naturschwärmer entsteht, die beim Picknick von einem Gewitterguß überrascht werden, von dem die deutsche Stimmung schnell weggespült wird. Noch einmal einige Katerstimmungsjahre später lautet der lyrische Reflex des Zauberwaldes bei Günter Eich einfach: „Mischwald ist am rentabelsten.“ Der Waldgang in die deutsche Lyrik trifft auf eine Abholzungsgeschichte der Schwärmerei, nur daß eben im Volk der Dichter und Autolenker immer weiter über eins seiner Lieblingsmotive gesonnen wird, und sei's nur in Saurer-Regen-Ballade des deutschen Waldes. Wer sich vom einfachen oder kritischen Pathos der Sendung „Der Wald im Gedicht“ befreien will, kann dann übrigens um 1530 auf dem Sender bleiben und sich die 47.Folge von Otto Sanders Lesung der Geschichte meines Lebens“ von Giacomo Casanova anhören, wo garantiert einige näherliegende Dinge zur Sprache kommen, die vielleicht nur 'uns Deutschen‘ so fernliegen, daß dafür gleich der Wald im Allgemeinen ans Herz gedrückt werden muß.
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