: „Erst nach dem Chaos wird umgedacht“
■ Mehr als die Vertretung örtlicher Interessen: Bürgerinitiativen gegen Straßenneubauten im Bremer Osten entwickeln sich zu Vorkämpfern für eine andere Verkehrspolitik / BUND unterstützt Verkehrsinitiativen
Ökologie, das ist für Bremens obersten beamteten Stadtentwickler, Senatsdirektor Hans-Otto Schulte, mehr als nur Grün. Ökologie bedeutet für ihn auch
„der persönliche Umgang der Bürger mit ihrem Ambiente, sowohl in der Debatte als auch in der handgreiflichen Auseinandersetzung: der Umgestaltung des eige
nen Wohnbereichs“. Bei einem so weit gefaßten Ökologieverständnis müßte sich Schulte über die Entwicklung im Bremer Osten freuen: Dort entstanden in den letzten Monaten immer mehr solcher ökologischen Pflänzchen; Bürgerinitiativen, die sich dagegen wehren, von der Politik immer neue Straßen vor die Haustür gesetzt zu bekommen.
Dienstag abend in der ehemaligen Schule Schmidtstraße: Im Versammlungsraum des BUND ist kein Stuhl mehr frei. Trotz Urlaubszeit sind VertreterInnen aller Verkehrsinitiativen, die sich gegen die Ausbaupläne wenden gekommen. Zum Bericht geladen ist Uwe Waagschal, Verkehrsplaner der Bremer Straßenbahn AG. Das Nahverkehrsunternehmen hat keinerlei Einwände gegen die Straßenausbaupläne des Senats. „Ich habe den Eindruck, Sie vertreten hier die Interessen des Individualverkehrs“, und „Sie haben keinen Mut und keine Courage, neue Wege zu gehen“, muß sich
Waagschal sagen lassen. Den Mitgliedern der BI's gegen den Ausbau der Beneckendorffallee, gegen die Mehrbelastung der Hastedter Heerstraße, gegen den Bau der Georg-Bitter-Straße, „Keine Stadtautobahn durch Schwachhausen!“ und für den Rückbau der Stader Straße geht es längst um mehr als die Vertretung ihrer eigenen örtlichen Interessen. Sie haben gemerkt, daß Einzelmaßnahmen nur zu kippen sind, wenn ihr Anliegen weiter gefaßt wird. Und das Anliegen ist jetzt eine andere Verkehrspolitik für Bremen, weg vom Straßenneubau, hin zum Vorrang für den Öffentlichen Personennahverkehr.
Eigentlich „identische Interessen“ mit der BSAG, konstatiert ein Mitglied der BI gegen die Schwachhauser Stadtautobahn und bietet den Straßenbahnvertreter kontinuierliche Zusammenarbeit an, doch Waagschal wirkt eher verärgert über die geballte Kritik an der Politik der
BSAG.
Kritik zum Beispiel an der Position zum Ausbau der Schwachhauser Heerstraße: Hier muß sich die Straßenbahn bislang den Platz mit der Überholspur für PKWs teilen. Nach dem Ausbau wird sie ein eigenes Gleis erhalten. Nutznießer ist aber auch der Individualverkehr. Auf zwei breiten betonierten Trassen werden die Autos dann immer noch allemal schneller sein als Bahn und Bus.
Kritik auch an der Position zur Beneckendorffallee: Den Bau dieser Straße begrüßt Waagschal, weil dann in der parallel verlaufenden Hastedter Heerstraße ein eigener Gleiskörper für die Bahn entsteht. Die BI's wollen mehr. Sie begrüßen zwar, daß Bahn und Bus eigene Spuren erhalten, wollen aber den Platz für den PKW-Verkehr auf eine Fahrbahn begrenzen. Wenn Autofahrer dann für ihre Wege mehr Zeit benötigen, um so besser: „Das Umdenken der Autofahrer fängt dann an, wenn das Chaos beginnt“, glaubt
einer, daß erst staumüde Autofahrer auf Bahn oder Bus umsteigen.
Beim programmatisch-ideologischen allein wollen es die BI's nicht belassen. Sand in das Straßenbaugetriebe soll auch weiterhin mit symbolischen Aktionen, wie Straßenblockaden, gestreut werden. Die Unterstützung zum Beispiel des Bund für Umwelt-und Naturschutz (BUND) ist ihnen beim Streit um eine andere Verkehrspolitik gewiß, und die Naturschützer sind „als Träger öffentlicher Belange“ an den Planverfahren zu beteiligen, können auch gegen die Behörden-Pläne klagen.
Auf halbem Wege zwischen Planung und Fertigstellung der Trassen sieht Hans-Otto Schulte seine Behörde. Wenn es denn soweit kommt: Von Innensenator Meyer wird der Satz kolportiert, er werde die Gelder, die in seinem Haushalt für den Bremer Osten eingesetzt sind, dann eben im Bremer Westen ausgeben.
Holger Bruns-Kösters
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