: Praxis am Bülowbogen
■ Wenn der Geschwindigkeitsrausch in der Kurve seine Begrenzung findet
Praxis am Bülowbogen? Es gibt keine. Angebracht wäre sie. Allein drei Unfälle in der letzten Woche hat der Nachbar Hermann gezählt. Da rasen sie immer wie losgelassen. Schneidig fahren sie in die Kurve und kriegen sie öfters nicht. Die Kirche wird als interessantes Slalom-Hindernis genommen. Nicht selten knallt dann hintendran einer vor die Pfeiler der alten Hochbahn. Dabei ist die Autobahn hier schon siebenspurig, aber das reicht offenbar nicht. Oder? 50 Stundenkilometer soll das allgmeine obere Limit in Ortschaften sein. Eigentlich. Denn beispielsweise auf der Bülowstraße ist die Ampelschaltung so beschaffen, daß man vom Wittenbergplatz bis zur Goebenstraße mit einer einigermaßen grünen Welle nur dann rechnen kann, wenn man mit 70 Stundenkilometern durchbrettert. Die wenigen übervorsichtigen Sonntagsfahrer, die versuchen, sich ans Geschwindigkeitslimit 50km/h zu halten, werden rücksichtslos von den hinter ihnen fahrenden Geschwindigkeitsberauschten vorwärts gedrängelt. Ans Planziel „Fließender Verkehr“ haben unsere Verkehrs- und Stadtplaner bei dieser Sorte Ampelschaltung wohl gedacht. Da muß von den Fußgängern schon das kleine Opfer verlangt werden können, die 400 Meter zur nächsten Ampel zu gehen. Zwischen Potsdamer Straße und der Alvenslebenstraße, schon fast an der Goebenstraße, gibt es direkt im Bülowbogen keine Ampel. Fast ein ganzer Kilometer ohne Ampel! Ein wunderbarer Anreiz für all unsere scheidigen Autofahrer, einmal kräftig auf die Tube zu drücken. Das tun sie dann auch.
Die Folgen sind danach. Mal ist es nur ein angefahrener Hund, der entsetzlich winselnd auf der Strecke bleibt. Vorletztes Weihnachten war es die Frau eines Mercedes -Fahrers, über deren Überlebenschancen man sich nach der Phonzahl des Knalls keine zu ausführlichen Gedanken mehr machen mochte. Vor drei Wochen fuhr ein Taxifahrer sein Auto zuschanden, heute hat wer anders die Knautschzone seines 40.000-DM-Autos voll ausgenutzt. Auf der gegenüberliegenden Seite saß mit allerschönster Regelmäßigkeit zumindest jeden Freitagabend ein Autofahrer im Zaun des Rests vom ehemaligen Dennewitzplatz. Jetzt wurden richtungsanzeigende Kurvenschilder dort angebracht. Mit nur bedingtem Erfolg. Wenn man 70 oder 90 Stundenkilometer fährt, ist ein solche Kurve eben oft nicht zu schaffen. Letztens war es wieder einmal so. Sein Opfer war eine Radfahrerin, die von dem um sich selbst kreiselnden Auto mitgenommen wurde und der dabei in mörderischer Weise fast alle Knochen gebrochen wurden. Dem „Kraftfahrzeugführer“ ist nichts geschehen. Warum richten wir nicht am Bülowbogen eine 30-Stundenkilometer -Zone ein? Vielleicht wäre das die Praxis am Bülowbogen, über die zu reden sich wirklich lohnen würde.
Elisabeth Meyer-Renschhausen
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