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DOMO LUDENS

■ Lob sei dem Wissenschaftszentrum

Einfach schrecklich diese Streifen in Babypink und Blau! Ein Sprayer hat den passenden Namen über die Eingangstür geschrieben: „Geburtstagstorte“. Das Neu-/Altgebäude des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) ist von außen wahrlich nichts für die Sinne. Die britischen Architekten James Stirling, Michael Wilford&Associates haben in nächster Nähe von Mies van der Rohes Neuen Nationalgalerie und Emil Fahrenkamps Shell-Haus am Landwehrkanal ihr Spiel getrieben.

„Er spielt für sein Leben gern“, schrieb Sir John Summerson in 'The Architectural Review‘. „Vielleicht ist er eine Art Glücksspieler, ein Architekt, der deutlicher als die meisten anderen in der Rolle des homo ludens aufgeht.“

Die Spielsteine der „Denkfabrik für Fragen der Umwelt, der Soziologie und des Managements“ sind Zitate aus über 2000 Jahren Architekturgeschichte: eine griechische Stoa, eine griechisch-römische Arena, ein italienischer Kampanile aus der Zeit der Renaissance und eine römische Basilika sind die Grundformen, die sich hinter der neubarocken Fassade des ehemaligen Reichsversicherungsamtes an- und umeinander reihen. Vorgabe für dieses Zentrum der Wissenschaftler ist die Anlage der Colleges von Oxford und Cambridge und die Idee des Campus an den Universitäten der USA. Mittelpunkt ist ein geschlossener Innenhof, ein zentraler Garten, eine Art postmodernes Forum Romanum, und genau dort erschließt sich der Reiz dieser Arbeitsstätte der Wissenschaft. Der parkähnliche Garten ist ein Ort der Ruhe und des Gesprächs. Schönster Spielstein in Stirling und Milfords Ensemble ist schließlich die Loggienanlage zu vier Seiten des Gartens. Zwei mit Glasdächern um Licht und Sonne einfließen zu lassen, zwei mit Steinen und Beton überdacht, wo Schatten und Kühle das Wort haben. Das als Bibliothek genutzte Kampanile beherbergt rund 50.000 Titel und etwa 600 Fachzeitschriften der WZB-Bibliothek. Über dem Lesesaal im Erdgeschoß befinden sich sieben Etagen Bücher. Eigentlich sollten die Etagen durch eine spiralförmig an der Außenwand angebrachte Treppe miteinander verbunden werden, aber die Brandschutzvorschriften in Berlin haben diesen Entwurf zunichte gemacht, und so nennt der beteiligte deutsche Architekt Walter Nägeli das Ergebnis eher „einen Übungsturm für die Feuerwehr“! Beinahe hätte diese Verordnung die beiden Glasdächer an den Loggien zu Betondächern gemacht, aber hier konnte Vernunft vor Verordnung durchgesetzt werden. Der an eine Basilika erinnernde Kreuzbau sollte ursprünglich vier Geschosse haben, durch Einsparungen am Gesamtkonzept wurde es vorläufig auf die Kantine im Erdgeschoß reduziert, das Dach soll begrünt und als weiterer Aufenthaltsort dienen. (Obwohl nicht öffentlich, dürfte die Kantine sehr wohl zum Geheimtip für neugierige Besucher avancieren, die somit die Atmosphäre des Gartens auf sich wirken lassen können.)

Während der wilhelminische Altbau des preußischen Reichsversicherungsamtes neben großen Konferenzräumen die Verwaltung des WZB aufnimmt, umfassen der Langbau (Stoa) und das Halbrund (Arena) 173 Räume für die Wissenschaftler. Die Verarbeitung der Innenarchitektur ist vielfach von hervorragender Qualität. Viel naturbelassenes Holz, direkt und indirekt abstrahlende Deckenleuchten und etwas abgewandelt die schönen Türgriffe von Walter Gropius aus den dreißiger Jahren. Sogar die alten Drehlichtschalter der dreißiger Jahre fanden wieder in moderner Form Eingang im Entwurf. Die Gänge, Räume und Säle strahlen große Gemütlichkeit aus, so daß man die künftigen Nutzer um ihren Arbeitsplatz beneiden kann.

Beim Verlassen dieses wissenschaftlichen Environments stößt man an der Außenfront auf einen Aspekt öffentlicher Kritik: die massiven Fensterumrahmungen (ohne untere Auflage), die stilistisch an Verwaltungsbauten des NS-Zeit gemahnen. Zweifellos ist der Vorwurf berechtigt, und gerade Berlin bietet die Möglichkeit eines augenfälligen Vergleichs. Zwei Rundplätze Speerscher Prägung bezeugen die Wuchtigkeit solcher Fensterumrahmungen: der Platz der Luftbrücke am ehemaligen Zentralflughafen Tempelhof und der Fehrbelliner Platz mitten in Wilmersdorf. “... Die vorstehenden, vorfabrizierten Steingewände (seitlich und oben) (sollen) die Illusion einer 'dicken‘ Außenwand geben. Dies soll das Gefühl größerer Sicherheit und Behaglichkeit vermitteln“, behaupten die Architekten. Ein bißchen zu dick aufgetragen, und was die größere Sicherheit anbelangt, so wirken diese Fensterumrahmungen beim Blick hinaus eher wie Sichtblenden aus einem Hochsicherheitstrakt. Nicht der Vergleich mit der NS-Zeit stört, sondern die einschränkende Funktion solcher Blenden. Aber warum soll es Stirling und seinen Kollegen gelungen sein, am Berliner Landwehrkanal eine absolut „perfekte“ Architektur im ausgehenden 20. Jahrhundert zu vollbringen.

Ronnie Golz

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