: Bußgeldverfahren abgeschmettert
■ Der Staatsanwalt ließ gestern im ersten Verfahren um ein Volkszählungs-Bußgeld die Anklage fallen / Die Angeklagte hatte nie einen Volkszählungsbogen erhalten
Im ersten Prozeß um ein Bußgeld wegen eines nicht ausgefüllten Volkszählungsbogens mußte das Statistische Landesamt (StaLa) gestern eine Schlappe einstecken. Der Staatsanwalt ließ die Anklage fallen, weil das StaLa nicht nachweisen konnte, daß die Bescheide ordnungsgemäß zugestellt worden waren.
Schon der Volkszählungsbogen, den das Statistische Landesamt angeblich an alle versandt hat, ist bei Katrin Sch. nicht angekommen. Ebenso das Mahnschreiben, das mit der normalen Post geschickt wurde. Am 20. Oktober letzten Jahres dann ging der Aufforderungsbescheid, doch endlich den Bogen abzugeben, zusammen mit der Zwangsgelddrohung mit Zustellungsurkunde raus. Doch da war Katrin Sch. bereits umgezogen. Sie hatte zwar eine Freundin beauftragt, sich um ihre Post zu kümmern, doch die war offensichtlich unzuverlässig. Das Mahnschreiben wurde von ihr bei der Post nicht abgeholt und ging zurück an das Volkszählungsamt des Bezirks. Im Dezember dann - das StaLa nahm an, man habe es mit einer Boykotteurin zu tun - ging der Feststellungsbescheid mit dem Zwangsgeld an die junge Frau ab. Auch diese Postzustellung kam weder bei Katrin Sch. an noch ging sie an das StaLa zurück. Wo das Dokument geblieben ist, weiß niemand. Der gestern telefonisch vom Gericht zur Auskunft gebetene Oberpostrat bedauerte: Weihnachtsstreß, da könne schon mal was untergehen.
Im Januar '88 schließlich klingelte der Vollstreckungsbeamte an der ehemaligen Wohnungstür von Katrin Sch. und erfuhr, daß sie dort bereits seit Monaten nicht mehr lebt: Unbekannt verzogen! Jetzt machte sich das Statistische Landesamt selbst auf die Suche. Eine Nachfrage beim Einwohnermeldeamt ergab die neue Adresse, Katrin Sch. hatte sich ordnungsgemäß im Oktober '87 umgemeldet. Jetzt bekam sie einen Bußgeldbescheid über 1.500 Mark an ihre neue Adresse und fiel aus allen Wolken. Sie legte Widerspruch ein mit der Begründung, nie vorher vom Volkszählungsamt oder dem StaLa Post erhalten zu haben. Das Amt lehnte den Einspruch ab, und so kam die Sache gestern vor Gericht. Der Richter fand die Darstellung von Katrin Sch. glaubwürdig und wollte freisprechen. Doch der Staatsanwalt kam ihr zuvor. Er ließ kurzerhand die Anklage fallen, und so blieb dem StaLa die reine Niederlage gestern erspart.
bf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen