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Rückschläge und Anschläge: RZ in Aktion und vor Gericht

Zu den Verhaftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl und den Durchsuchungen im letzten Dezember gibt es verschiedene Einschätzungen. Sicher aber ist, daß die Bundesanwaltschaft nach den zahlreichen Anschlägen der „Revolutionären Zellen“ zur Thematisierung der BRD-Flüchtlingspolitik und den Attacken der „Roten Zora“ gegen die Adler-Filialen gegen diese Gruppen in die Offensive gehen wollte. Dazu gehört neben Fahndung, Durchsuchungen und Verhaftungen auch der Versuch Stimmung gegen die „terroristische Veeinigung“ zu schüren, eine Information über deren Politik und eine Diskussion darüber durch die Androhung des Paragraphen 129a zu unterbinden. Um wenigstens ansatzweise zu erklären, warum die Bundesanwaltschaft gerade jetzt und gerade gegen die „Revolutionären Zellen“ und die „Rote Zora“ vorgeht und weil leider keiner der raren Interviewtermine der vielbeschäftigten Zellen und Zoras zu ergattern war, ein kurzes Portrait dieser bewaffnet, aber auch oft genug mit der Schreibmaschine kämpfenden Gruppen.Das Portrait macht auch deutlich, daß das Bild, das Staatsanwaltschaften und Gerichte in den bisherigen fünf Prozessen gegen angebliche RZ-Mitglieder zeichnen, wenig überzeugend geraten ist. Die Beweislage ist immer dürftig, fast die einzige Quelle, aus der die Staatsschutzsenate schöpfen konnten, sind die Ausgaben des ‘Revolutionären Zorn‘ bis 1978. Je größer das öffentliche Interesse an den Verfahren war, desto geringer waren in der Regel die Möglichkeiten, die Angeklagten auch tatsächlich zu verurteilen.

Als in der humangenetischen Beratungsstelle der Universität Münster 1986 umfangreiches Erbforschungsunterlagen durch Brandsätze vernichtet wurden, machte sich bei Gentechnik -KritikerInnen nicht nur klammheimliche Freude breit - die zu erheblichen Teilen in bevölkerungspolitische Programme eingepaßte Forschungsarbeit unter anderem der Professoren Tünte und Lenz war ein ganzes Stück zurückgeworfen. Aber die „Rote Zora“ beließ es nicht beim Anschlag. Wochen später machte „Aufklärungsmaterial“ die Runde: ein in großer Auflage kopierter, sorgsam kommentierter Reader mit Originaldokumenten aus dem Institut. Es wurde zwar nicht der große Skandal enthüllt - aber darauf kam es der „Roten Zora“ auch nicht an; sie wollen nicht kurzlebige Empörung hervorrufen, die implizit den alltäglichen Rassismus, die dauerhafte patriarchalische Unterdrückung als erträglichen Zustand erscheinen läßt. Ansatz der „Roten Zora“ ist, wie sie in ihrem Text „Jedes Herz ist eine Zeitbombe“ schreiben, „Sexismus und Rassismus als integralen Bestandteil des patriarchalischen Herrschaftssystems zu begreifen“.

Die von den militanten Frauen veröffentlichten Materialien decken den Grad der Verflechtung zwischen forschenden Humangenetikern und der profitierenden pharmazeutischen Industrie auf, sie zeigen die Dimension der bevölkerungspolitischen Programmatik und belegen, daß die „Berater“ eine behindertenfeindliche Leistungsideologie und ein gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen orientiertes Menschenbild propagieren.

Statt Aktivismus Aktionen

Die Aktion der „Roten Zora“ in Münster ist beispielhaft für die Politik dieser Art von Guerilla, weil sie, in der publizierten Dokumentation und Kommentierung der erbeuteten Materialien, auch eine Intervention in die Debatte der legalen Frauenbewegung beinhaltet: „Die Diskussion um die Humangenetik spiegelt eine Perspektivlosigkeit in der Frauenbewegung wieder, zumindest, wenn sie so wie in Berlin auf der Antigena geführt wird. Wo sind Forderungen und Ansätze geblieben, die den von den Herrschenden vorgegebenen Rahmen und deren Denkmuster sprengen? Wo fordern wir unsere feministische Utopie noch ein? Die Behinderten in Berlin forderten die Schließung der humangenetischen Beratungsstellen. Diese sind die Schaltstellen für die gesundheitliche Erfassung möglichst vieler Menschen, für die Selektion von erwünschtem und unerwünschtem Nachwuchs. Gegen diese Forderung erhob sich massiver Protest unter den Frauen: Es müsse jeder Frau zugestanden werden, ob sie ein behindertes Kind wolle, jede Frau müsse diese Entscheidung selbständig treffen und die Forderung nach Schließung würde ein Tabu errichten. Dabei ist ein ganz anderes Tabu längst schon in unseren Köpfen eingepflanzt: Das Tabu zu fordern: das Recht anders zu sein als der Durchschnitt... Ein Giftmüllskandal führt eher zu der Forderung nach Ausweitung der humangenetischen Beratung in der Schwangerschaft, als zum Sturm auf die Giftmüllproduzenten und zu gemeinsamen Aktionen bei den Gesundheitsbehörden.“

Die Teilnahme an weitgehend legal arbeitenden Bewegungen und die Beförderung von deren Anliegen durch militante Aktionen, wobei diese nicht höher bewertet werden als z.B. das Flugblattverteilen, sind Kennzeichen der „Roten Zora“ und der „Revolutionären Zellen“. „Es gibt für uns kein hierarchisches System von Aktionen (...). Ein Denken in hierarchischen Kategorien sieht Aktionen unter dem Gesichtspunkt der Leistung und bleibt so einem patriarchalisch/kapitalistischen Denken verhaftet“, argumentieren Mitglieder einer „Revolutionären Zelle“ 1980 in einem Interview in der 'Autonomie‘. Dieses Interview liefert auch einen interessanten kurzen Abriß über die Entwicklung und Einschätzung der RZ-Politik im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung: Anfangs habe die RZ, erläutern die Interviewten, keine illegalen Aktionen durchgeführt, um die Entwicklung der Massenmilitanz nicht zu gefährden. Im Verlauf des deutschen Herbstes verkehrte sich die Einschätzung ins Gegenteil: Angesichts des Kalkar-Schocks hielten die RZ jetzt andere als illegale Aktionen für unmöglich. Nachdem mehrere Anschläge allerdings nicht die erhoffte Sympathie bewirkten, wurde die Einschätzung erneut, wenn auch nicht so radikal, revidiert: „Der Treck nach Hannover und die folgende Großdemo in Hannover zwangen uns insofern zum Umdenken, als wir die politischen Möglichkeiten eines breiten Protestes der Bevölkerung unterschätzt hatten.“ Im Verlauf des Anti-AKW-Kampfes entwickelten die RZ ihr Konzept der „Dezentralisierung des Widerstands“. Statt sich auf die Standorte zu konzentrieren, plädierten sie für Aktionen gegen die Infrastruktur in den jeweils eigenen Regionen - eine Strategie, die mit einer großen Sympathie für den Kampf im Stadtteil und bestimmte Regionalismus -Konzepte einhergeht.

Geschichte der RZ und der „Roten Zora“

Erstmals aktiv in Erscheinung getreten ist die „Revolutionäre Zelle“ am 16. November 1973 mit einem Anschlag gegen ITT in Westberlin, um auf die Beteiligung dieses Konzerns am Putsch in Chile hinzuweisen. 1974 findet erstmals eine Sprengstoffaktion der „frauen der rz“ statt. Ziel des Angriffs ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, „weil wir ja alle die abschaffung des paragraphen 218 wollen und nicht diese jederzeit manipulierbare indikationslösung.“ In der ersten Ausgabe des 'Revolutionären Zorn‘ (1975) unterteilt die RZ selber ihre Aktionen in drei Bereiche: „Antiimperialistische Aktionen...; Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD; Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen.“ Dieses thematische Spektrum bleibt über die Jahre hinweg erhalten. Aus der „Revolutionären Zelle“ werden „Revolutionäre Zellen“. Neben das Engagement in der Anti-AKW-Bewegung treten Aktivitäten im Kampf gegen die Startbahn 18 West im Rhein-Main-Gebiet. In Zusammenhang damit kommt es zu dem einzigen Anschlag mit Todesfolge: Am 11.Mai 1981 wird der hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr Herbert Karry erschossen. Die Tatsache, daß Karry jüdischer Abstammung ist und auf einer schwarzen Liste von Neonazis stand, und die Umstände des Attentats ließen rechte Urheber wahrscheinlich erscheinen. Erst sehr viel später tauchte ein Bekennerbrief der „Revolutionären Zellen“ auf, der die Erschießung Karrys als Panne bezeichnete. Geplant sei gewesen, den für den Startbahnbau mitverantwortlichen Minister in die Beine zu schießen. Die Authentizität dieses Briefes wurde angezweifelt. In einer 1983 erschienenen Analyse des Anti -Startbahn-Kampfes wurde allerdings nochmals die Verantwortung für den Anschlag übernommen - dessen Ausführung aber scharf kritisiert: Die Gruppe, die den Anschlag verübt habe, sei „politisch und praktisch vollkommen überfordert“ gewesen, die Umstände der Aktion stellten einen „Verstoß gegen die Grundsätze revolutionärer Moral“ dar.

Ab 1977 agiert autonom die „Rote Zora“: „Frauen haben zu jeder Zeit in bewaffneten Gruppen gekämpft, ihr Anteil am Kampf wurde aber meistens unterschlagen. Aber die Zeiten ändern sich ...subversive Frauengruppen, wie die Rote Zora, gibt es zwar noch wenige, aber auch das wird sich ändern!“ Die Frauen der „Roten Zora“ attackieren überwiegend frauenfeindliche Zustände und Personen, sie lehnen in ihren Papieren aber auch „eine 'linke‘ arbeitsteilung nach dem motto: die frauen für die frauenfragen, die männer für allgemeinpolitische themen“ ab. Neben den Angriffen auf Mädchenhändler, Sterilisationsversuche durchführende Ärzte und Pornohändler führen sie deswegen auch Aktionen wie den Nachdruck von Nahverkehrsfahrscheinen oder Anschläge auf die Computerfirma Nixdorf oder auf Siemens durch. In Einzelfällen, wie bei der Erarbeitung und Formulierung des im Januar 1984 veröffentlichten Kritikpapiers an der Friedensbewegung, agieren „Rote Zora“ und „Revolutionäre Zellen“ gemeinsam.

Die Analyse - „In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod“ - beginnt mit einer gerade im Vorfeld des IWF-Kongresses im Herbst hochaktuellen Begründung, warum die „Revolutionären Zellen“ und die „Rote Zora“ im dann doch nicht so „heißen Herbst“ 1983 keine Anschläge durchgeführt haben: „Wir bestimmen unsere Zeitpunkte, Ziele und Interventionsformen gerne selbst und meiden - soweit möglich - staatlich verordnete Höhepunkte.“ Das Papier, das die Friedensbewegung als eine bürgerliche Bewegung beurteilt und vor allem deren apokalyptische, ohne Klassenbezug gedachten Endzeitvisionen kritisiert, ist auch mit der Politik der Linksradikalen in der Bewegung nicht einverstanden: „Eine falsche Politik wird nicht dadurch richtiger, daß man sie von innen heraus zu radikalisieren versucht.“ Bemerkenswert ist gerade angesichts des heutigen INF-Abkommens, die Kritik der RZ an der Fixiertheit der Bewegung auf die Waffensysteme, die die Analyse der Interessen der Herrschenden und ihrer Ziele in den Hintergrund oder ganz verschwinden läßt. Als entscheidenden Fehler der Friedensbewegung sehen die RZ, daß sie sich auf den „Erhalt des Friedens“ (der nur ein Friede in den Metropolen ist) als politisches Ziel konzentriert hat, „statt den imperialistischen Zusammenhang zwischen Rüstung und Krise, 3.-Welt-Elend und Sozialabbau, Sexismus und Rassismus herauszuschälen.“

Antiimperialismus heute

In den letzten beiden Jahren haben sich die „Revolutionären Zellen“ auf Aktionen gegen die BRD-Ausländerpolitik konzentriert - mit einem im Vergleich zu den siebziger Jahren allerdings modifizierten Interesse: „Wir wollen zur Rückgewinnung eines konkreten Antiimperialismus in der BRD beitragen... Antiimperialismus bedeutet nicht allein Angriff auf militärisch-industrielle Apparate und ist mehr als Solidarität mit fernen Befreiungsbewegungen“, stellen sie in einem 'Revolutionären Zorn - Extra‘ vom Oktober 1986 fest. Anschläge auf das Ausländerzentralregister in Köln oder auf die Dortmunder Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Dortmund einerseits und Attentate auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Korbmacher, oder den Leiter der Westberliner Ausländerbehörde, Hollenberg, zeigen die Spannbreite dieses Engagements: Während mit den Aktionen gegen einzelne, für die Praxis der Flüchtlingspolitik in der BRD und Westberlin verantwortliche Menschen diese eingeschüchtert und bestraft werden sollen, ist die Intention der Attacken auf die Institutionen, bei denen zumeist Akten und Datenbestände vernichtet wurden, „den Flüchtlingen einen Raum zu verschaffen, der nicht mehr staatlich kontrolliert und reglementiert wird“.

Die RZ sind sich der geringen Erfolgsaussichten in diesem Kampf, in dessen Kontext auch der Ingrid Strobl zur Last gelegte Anschlag auf das Verwaltungsgebäude der von Abschiebungen profitierenden Lufthansa in Köln steht, aber auch Anschläge auf etliche Ausländerbehörden, bewußt: „Unsere Aktionen werden aber wirkungslos verpuffen, wenn sie nicht zur Entwicklung eines neuen Ansatzes von Antiimperialismus der radikalen Linken beitragen.“

Auch die „Rote Zora“ hat ihre bislang umfassendste Anschlagserie - in neun Verkaufsfilialen der Firma Adler deponierte Brandsätze - in einen antiimperialistischen Kontext gestellt: „Die Frauen bei Adler in Südkorea kämpfen gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und setzen sich gegen den alltäglichen Sexismus zur Wehr. Sie rufen zur Unterstützung ihre Kampfes in der BRD auf. Daraufhin sind hier in Flugblättern, auf Veranstaltungen und bei Aktionen vor den Adler-Verkaufsstätten Informationen über die beschissenen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in den ausgelagerten Produktionsstätten (...) verbreitet worden. In diesen Aktionen kann Antiimperialismus praktisch werden.“ In einer späteren Erklärung der „Roten Zora“ wurde die Überlegung, die die Anschläge als richtige Strategie erscheinen ließen, noch einmal konkretisiert: „Es wurde durch 'terre des femmes‘ und durch die Kirche schon 'Bewußtseinsarbeit‘ durch Flugblätteraktion geleistet. Es gab also schon eine gewisse Vorarbeit. Die Arbeiterinnen haben ihre Situation selbst in die Hand genommen und sich gewehrt. Dadurch kam ein sich Wehren von hier und dort gegen einen gemeinsamen Feind zustande.“ Das Erstaunliche geschah: Die Konzernleitung von Adler gab, mit ausdrücklichem Verweis auf die Anschläge, den Forderungen der Arbeiterinnen zumindest teilweise nach.

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