Friedehorster lange Leine

■ Sechs Behinderte ziehen zum Fast-allein-Wohnen in zwei separate Wohnungen auf dem Gelände Friedehorst / Horst Frehe: Wohnen nicht trainieren, sondern machen!

Fast ist Friedehorst, die Anstalt für Behinderte, Alte und zu Rehabilitierende in Lesum, eine eigene kleine Stadt mit geraden Asphaltstraßen und Zebrastreifen, kurzgeschnittenen Rasenflächen und akkuraten Blumenrabatten, kleiner Kirche und Post, Cafeteria, Wäscherei, Gärtnerei und sogar einer Sparkassen-Filiale. Läden - die gibt es allerdings nicht, und die braucht es nach der Logik der totalen Betreuung auch nicht zu geben: Die PatientInnen werden zentral bekocht, bewaschen und betreut, und um frische Bettwäsche oder den Stromzähler müssen und dürfen sich die Insassen ebensowenig kümmern wie um neues Filter-oder Klopapier.

Aus dem vorsorglich festen Griff der rundumbetreuenden Fürsorge machen sechs junge Behinderte jetzt erste Schritte hinaus, ins selbständigere Leben:

Die ersten beiden „Wohnge meinschaften“ wurden auf Friedehorst-Gelände - von oben ins Leben gerufen. Seit Februar bereits wohnen drei junge Frauen und seit zwei Wochen drei junge Männer in zwei separaten Wohnungen und üben, ohne Rund-um-die-Uhr-Betreuung aufzustehen, sich allein zu waschen, in Schule oder Werkstatt zu gehen: „Man muß einfach lernen, sich selbst viel mehr zuzutrauen“, faßte einer der sechs, der Rollstuhlfahrer Peter Abend, gestern vor JournalistInnen zusammen. Sein klares Ziel: „Daß ich irgendwann ganz hier rausgehen kann.“

„Eine typische Aussonderungs-Einrichtung, eine Sammeleinrichtung klassischen Typs“, wertete der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Horst Frehe gegenüber der taz die Friedehorster Einrichtung und kritisierte, daß

auch die neue 'eigene‘ Wohnung auf dem Anstaltsgelände und hinter dem Zaun bleibt: „Wohnen kann man nicht am künstlichen Ort trainieren, das muß man machen!“ Nur wenn die Behinderten ihre Sozialhilfe zusammen mit dem Mietvertrag auf die eigene Hand bekämen und die Arbeitgeber ihrer selbstausgesuchten Pfleger wären, könne man von 'selbständigem‘ - anfangs sicher stark betreuten - Wohnen reden, so Frehe.

Die sechs in den Wohngemeinschaften haben eigene Schlüssel, können kommen und gehen, wann sie wollen, und ein Besucherzimmer ist auch da: „Ich will nur wissen, wer hier übernachtet, daß da nicht jeder kommt“, schränkte der zuständige Sozialarbeiter Ernst Hamann ein. Sozialsenator Henning Scherf sah in dem Experiment „eine ganz große Ermuti

gung auch für all die anderen, die noch nicht so weit sind“. Sehr viele der 91 Körperbehinderten könnten und wollten ebenfalls viel selbständiger leben - ein Traum, solange es für die rund 1.550 RollstuhlfahrerInnen Bremens nur 116 entsprechende Wohnungen gibt.

Große Hoffnungen für mehr frischen Wind setzen die Behinderten auf die „politisch schon entschiedene“ (Scherf) Kooperation der Friedehorster Behinderten-Werkstattt mit dem Martinshof, sodaß zumindest Lebens- und Arbeitsbereiche nicht auf demselben Gelände liegen müssen: „Wann kommt die Werkstatt, wann?“ fragte ein Rollstuhlfahrer den Sozialsenator flehentlich mehrere Male. „Noch in diesem Jahr - noch vor Weihnachten“, versprach ihm der fest. Susanne Paa