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Zwangstest im Klinik-Service

In der Orthopädischen Klinik Schlierbach/Heidelberg findet ohne Aids-Test keine Operation mehr statt / Patienten werden unter Druck gesetzt und müssen ein Formblatt unterschreiben  ■  Von Doris Burger

Heidelberg (taz) - In der Orthopädischen Universitätsklinik in Schlierbach/Heidelberg werden seit letztem Sommer vor jeder Operation routinemäßig HIV-Tests durchgeführt. Die Tests sind nicht nur medizinisch unsinnig, sondern auch rechtswidrig. Sie werden bei allen Patienten auch ohne Vorliegen von konkreten Verdachtsmomenten auf eine HIV -Infektion durchgeführt. Die notwendige Aufklärung und Beratung über die möglichen Folgen eines solchen Tests findet nicht statt. Alle Patienten müssen zuvor auf einem Formblatt ihr Einverständnis erklären. Dabei werden sie nach Aussagen von Betroffenen psychisch und moralisch unter Druck gesetzt. Wer nicht unterschreibt, wird behandelt wie ein „Positiver“ und soll bei nicht zwingend erforderlichen Eingriffen nicht operiert werden. Bisher haben alle Patienten unterschrieben.

Die ungesetzliche Praxis des Krankenhauses wurde durch Beschwerden von Patienten bei der Aids-Hilfe und beim Gesundheitsamt bekannt.

„Wenn es Ihnen nicht paßt, können Sie ja gehen“, bekam die Heidelberger Studentin Elvira Braun * von der Stationsschwester zu hören. Im zweiten Atemzug wurde sie beruhigt: „Sowas haben Sie doch sowieso nicht.“ Der Hinweis der Patientin, daß sie bereits vor einigen Monaten einen HIV -Test machen ließ und seitdem kein Risiko mehr hatte, wurde ignoriert. Elivra Braun lag auf der Privatstation von Klinikchef Prof. Cotta.

Cotta selbst ging wochenlang auf Tauchstation. Auf ein Schreiben der Aids-Hilfe vom 5.Juli hat er bis heute nicht reagiert. Sein Stellvertreter, Dr. Niethard, bezeichnete am Mittwoch die Test-Praxis in Schlierbach als „Service“ der Klinik, der „geradezu angeboten werden muß“. Die Patienten seien sehr daran interessiert und „dankbar“ für dieses Angebot. Fortsetzung auf Seite 2

Der routinemäßige HIV-Test sei Bestandteil eines umfangreichen Konzepts aller möglichen Sicherheitsvorkehrungen vor Operationen. In Schlierbach würden auch Bluter operiert, die zu einem hohen Prozentsatz infiziert seien. Niethard argumentiert auch mit dem Hepatitis-B-Vergleich. „In mehreren 100.000en“ von Fällen werde in bundesdeutschen OPs Hepatitis übertragen. Außerdem stünden in Schlierbach zwei OP-Tische nebeneinander, und „die Personalwege im OP unterscheiden sich nicht“.

Die Schilderung der Operationspraktiken läßt indes eher auf fragwürdige hygienische Verhältnisse schließen als auf einen ausreichenden Kenntnisstand über Aids. Das Argument, „die Ärzte müssen geschützt werden“, wurde wiederholt von Medizinern zurückgewiesen. Denn die HIV-Antikörper - die allein kann der Test nachweisen - bilden sich erst Wochen, Monate und in seltenen Fällen Jahre nach der Infektion. Aber auch in dieser Zeit ohne Antikörper ist der Betroffene ansteckend. Das heißt: „Grundsätzlich müssen sich die Ärzte so verhalten, als ob jeder Patient infiziert wäre. Ärzte dürfen sich auf ein negatives Testergebnis nicht verlassen“, so der Aids-Rechtsexperte, Bundesanwalt Manfred Bruns. Und: Bei Einhaltung der ohnehin gebotenen hygienischen Vorsorgemaßnahmen ist eine Ansteckung mit HIV nicht möglich.

Über die Rechtslage scheint man in Schlierbach durchaus aufgeklärt zu sein. Man pocht auf „Freiwilligkeit“. Außerdem finde vor dem Test ein persönliches Gespräch mit dem Arzt statt. Doch Elvira Braun hatte zum Zeitpunkt der Einwilligung auf dem Formblatt noch keinen Arzt gesehen. Sie kam direkt von der Aufnahme zur Blutabnahme.

Ein positiver Befund soll - laut Klinikleitung - „in einem persönlichen Gespräch im Beisein eines Psychologen“ mitgeteilt werden. Ein positiver erster Test werde durch einen Bestätigungstest überprüft. Belegt ist dagegen der Fall einer ausländischen Patientin, deren „unklares Ergebnis“ einfach an den Hausarzt weitergeleitet wurde. Bekannt ist ein weiterer Verstoß gegen die Rechte des Persönlichkeitsschutzes: Das positive Testergebnis eines Patienten wurde vom Pflegepersonal auf der Station lautstark verbreitet.

Wissenschaftlich ausgewertet werden die Daten angeblich nicht, auch wenn die Zahl der Tests inzwischen „mehrere tausend“ erreicht hat.

Diskutiert wird die Schlierbacher Test-Praxis auch an der Heidelberger Uni-Klinik. Der Aids-Arbeitskreis der Uni -Klinik unter Leitung des Aids-Beauftragten Dr. Petzold distanzierte sich vorsichtig. Petzold bot sich als Vermittler an, wollte aber nichts an die große Glocke hängen. Allerdings ist die Schlierbacher Klinik selbständig und sieht sich nach eigenen Angaben „nicht verpflichtet, Richtlinien des Gesamtklinikums anzuerkennen“.

*Name von der Redaktion geändert

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