Akuter Wohnungsnotstand

■ Durch vermehrten Zuzug aus Westdeutschland und von Aussiedlern ist der Berliner Wohnungsmarkt dicht / Sanierungsbetroffene ohne Umsetzwohnungen

Der vermehrte Zuzug von Westdeutschen, von deutschstämmigen Aussiedlern aus Polen sowie DDR-Bürgern hat offenbar gemacht, wie schwachbrüstig der Berliner Wohnungsmarkt ist: die Suche nach einer Bleibe ist hoffnungslos geworden.

Zwischen der Bau- und der Sozialverwaltung ist es sogar zu Streitigkeiten gekommen, weil Finks Behörde Aussiedler in Wohnungen einweist, die eigentlich Umsetzwohnungen für Sanierungsbetroffene sind oder gar solche, die gerade mühsam zur Modernisierung freigemacht wurden. Auf die Vorwürfe des Bausenators, der seine Arbeit blockiert sieht, reagiert die Sozialverwaltung mit dem Hinweis auf den „akuten Notstand“. Finks Sprecher Schültke: „Wir suchen händeringend Wohnungen.“

Die Übergangsheime jedenfalls platzen aus allen Nähten, 4.029 deutschstämmige Aussiedler, meist aus Polen und 3.882 ehemalige DDR-Bürger reisten dieses Jahr nach Berlin. Wohnungen sind in dieser Situation so knapp wie seit langem nicht mehr. „Die Bewerbungen bei uns haben exorbitant zugenommen“, erklärte Frau Flur, Sprecherin des Verbandes der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften. So haben sich bei der DeGeWo letztes Jahr ca. 38.400 Leute beworben, 1985 waren es nur 25.000. Ähnlich sehe es bei anderen Gesellschaften aus. „Die Zeiten von '84/'85, als Sozialwohnungen leerstanden, sind vorbei“, erklärte Frau Flur. Auch die Anträge auf Wohnberechtigungsscheine haben zugenommen: von 11.400 in 1985 auf 18.000 für letztes Jahr. Daß der Wohnungsmarkt dicht ist, sieht auch der Berliner Mieterverein. Nicht nur die Aussiedler aus der DDR und Polen seien der Grund, so Armin Henschel vom Mieterverein, es zögen auch mehr Westdeutsche zu als Berliner weg. Die Geburtenrate steigt, die Sterberate sei 1987 hingegen die niedrigste seit 35 Jahren gewesen. Noch stärker als die Bevölkerungszahl steige die Zahl der Haushalte, die ja für den Wohnungsbedarf maßgeblich sei. Das Problem beschäftigt auch die CDU. Ihr Frakionsvorsitzender Buwitt forderte letzte Woche, statt 5.000 Sozialwohnungen mindestens 6.000 im Jahr zu bauen. Fortsetzung auf Seite25

Fortsetzung von Seite 25: Neubau hinkt hinterher / Uneinigkeit über Abhilfe / Mieterverein will billigen Wohnraum

Das Problem wird dadurch noch verschärft, daß der Neubau von Wohnungen den politischen Zielsetzungen hinterherhinkt. Nur 30% der 1988 zur Verfügung stehenden Mittel für den sogenannten 1.Förderungsweg im Sozialen Wohnungsbau seien bisher von den Bauträgern ausgeschöpft, meldete die Wohnungsbaukreditanstalt (WBK) Anfang der Woche. Im 1.Förderungsweg entstehen die „normalen“ Sozialwohnungen mit einer preisgebundenen Miete von 5,50 Mark pro Quadratmeter plus Betriebs- und Energiekosten. Vor allem die privaten Bauherren interessieren sich mehr für den sogenannten 3.Förderungsweg, der zwar weniger Fördermittel vergibt, aber auch weniger Bürokratie und Marktmieten von bis zu 17 Mark kalt pro Quadratmeter produziert. Der 3.Weg sei mit 60% des Jahresfinanzvolumens zur Jahresmitte relativ gut ausgebucht, erklärte WBK-Sprecher Rautenberg. Die Bauherren beschwerten sich über die langen Planungsverläufe. Baugenehmigungen könnten in Berlin über ein Jahr dauern, und das sei für private Bauträger, die schon aus steuerlichen Gründen präzise terminieren müßten, nicht tragbar. Es gebe inzwischen eine Arbeitsgruppe beim Bausenator, die dies anhand bestimmter Bauvorhaben untersuche.

Rautenberg warnte allerdings vor einer allzu intensiven Debatte über die Wohnungsnot, dies treibe erfahrungsgemäß die Preise in die Höhe. Während man sich vom Mieterverein über die Wohnungsbaugesellschaften bis zum Bausenator über den Wohnungsmangel einig ist, gehen die Vorschläge zur Abhilfe auseinander. „Wir können sofort anfangen zu bauen, wenn wir die Grundstücke hätten“, sagt Frau Flur vom Verband der Gemeinnützigen. Wegen ihrer Gemeinnützigkeit dürfen die Gesellschaften Grundstücke nur zum Verkehrswert kaufen und sind gegenüber den privaten Bauherren im Nachteil. Deshalb wollen die Gemeinnützigen landeseigene Grundstücke. In Verhandlungen habe der Bausenator zwar „Entgegenkommen signalisiert“, aber keine konkreten Zusagen gemacht, obwohl die privaten Bauherren offensichtlich das Interesse an den weniger lukrativen Teilmärkten des Sozialen Wohnungsbaus verloren hättten, so Frau Flur. Ähnlich sieht das der baupolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Nagel. Der Senat habe sich durch einseitige Vergabe von Fördermitteln an private Abschreiber von diesen abhängig gemacht. Jetzt setzten die Privaten den Senat unter Druck, die auf 17 Mark pro Quadratmeter gesenkten Subventionen wieder zu erhöhen, vermuten Beobachter. Nagel meint, der Senat hätte die Gemeinnützigen durch bevorzugte Grundstücksvergabe stärken müssen. Bevorzugung aber lehnt die CDU ab: Die Gemeinnützigen müßten sich eben in Konkurrenz zu den steuerlich ja bessergestellten - Privaten durchsetzen.

Die Rezepte von Bausenator Wittwer, Dachgeschoßausbau und den teuren 3.Förderungsweg, lehnt der Mieterverein ab. „Der Bedarf an teuren Wohnungen, wie es Dachgeschosse meistens sind, ist gedeckt. Die Leute brauchen billigen Wohnraum“, sagt Armin Hentschel. Zudem sei der Flächenverbrauch beim Neubau bedenklich.

Kreuzbergs Baustadtrat Orlowsky fordert Abrißstopp, um den

-noch - billigen Altbau zu erhalten, nicht nur um der Wohnungsnachfrage Herr zu werden, sondern um die Sanierung voranzubringen. Mit öffentlichen Mitteln modernisierter Wohnraum ist die letzte Preisbremse bei den explodierenden Altbaumieten. Aber Leerstandsreserven im Altbau gibt es kaum.

Eva Schweitzer