: In den Schlaf gejoggt
Langlauftraining als Therapie bei psychischen Störungen: Erfolge beim Einschlafen, aber der „Stierhunger“ bleibt / Warnung vor übertriebener Rennerei ■ Von Holger Reile
Hilft Jogging bei Schlafstörungen? Um das herauszufinden, beobachteten erstmals in der Bundesrepublik zwei Wissenschaftler der Konstanzer Universität ausgesuchte Testpersonen über einen längeren Zeitraum hinweg. Prof. Dr. Wilhelm Kleine von der Fachgruppe Sportwissenschaft und Dr.Martin Hautzinger von der Fachgruppe Psychologie betreuten dieses Projekt mit dem Titel „Sport und psychische Belastungen“.
Das Resultat ihrer eingehenden Untersuchungen kann sich durchaus sehen lassen. Davonlaufen könne man den Schlafstörungen zwar nicht, und Jogging allein sei sicher kein Allheilmittel, dennoch habe das Projekt erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht. Nach einer dreiwöchigen Vorbereitungsphase ließen Kleine und Hautzinger ihre Probanden - drei Frauen - in einem Zeitraum von zwei Monaten regelmäßig joggen. Nach einer mehrwöchigen Pause folgte wiederum eine zehnwöchige Laufphase. Während dieser Zeit verfaßten die Testpersonen genaue Protokolle, in denen sie subjektives Befinden und Schlafzeiten notierten. Schon nach kurzer Zeit zeigten sich bei den drei Frauen positive Veränderungen: Die Wachzeiten vor dem Einschlafen verkürzten sich im Durchschnitt von 55 auf 35Minuten.
„Es wäre ein Fehler“, sagt Wilhelm Kleine, „die Ergebnisse überzubewerten, aber es ist eine Tatsache, daß eine kontinuierliche, ausdauernde Betätigung auftretende Einschlafstörungen reduzieren kann.“ Etwas überrascht waren Kleine und Hautzinger allerdings davon, daß sich auch während der mehrwöchigen Laufpause das Einschlafverhalten nicht wieder verschlechterte.
Das Lauftraining selbst wurde von Betreuern überwacht und ebenfalls exakt protokolliert. Gelaufen wurde abends jeweils zwischen 17 und 19 Uhr, erst minutenweise, und dann bis zu einer Stunde. Dabei ging es nicht darum, „Tempo zu bolzen“, gefragt waren nicht Höchstleistungen bis hin zur körperlichen Erschöpfung, sondern ein gleichmäßiger Laufstil in Durchschnittsgeschwindigkeit.
„Vor Beginn eines Ausdauertrainings“, so der Sportwissenschaftler Wilhelm Kleine - selbst ein engagierter Langläufer - „soll man die jeweiligen Laufzeiten gleichmäßig über die Woche verteilen.“ Gewarnt wird vor „körperlichen Belastungsspitzen“ und jeglicher Übertreibung. „Zwei- bis dreimal die Woche ein regelmäßiges Lauftraining - das reicht.“
Trotz des Erfolges ihres Projekts warnen die Konstanzer Wissenschaftler vor allzu hohen Erwartungen. Bei streßbedingten Einschlafstörungen könne ein Langlauftraining durchaus zur Besserung führen, dennoch sei es in anderen Fällen notwendig, zuerst die Ursachen der Krankheit zu erforschen. Denn liegen möglicherweise Organschäden vor, kann das Laufen sogar schädlich sein.
Ein zweites Projekt von Kleine und Hautzinger Langlauftherapie bei Bulimie-Patienten - schlug weitgehend fehl. Die Bulimie, im Volksmund der sogenannte „Stierhunger“ - der Drang zu essen und sich wenig später zu übergeben ließ sich durch Langlauftraining nicht erwähnenswert lindern.
In beiden Projekten wurden Längsschnittuntersuchungen sogenannte one-case-studies - angewandt. Ein Verfahren, das in Fachkreisen unumstritten ist, aber, so merken Kleine und Hautzinger kritisch an, bei der Erkundung sporttherapeutischer Möglichkeiten bei psychischen Erkrankungen bisher in der Bundesrepublik noch nie getestet wurde.
Ein Manko, dem die beiden Konstanzer Wissenschaftler zukünftig zu Leibe rücken wollen: „Uns schwebt ein Ausdauersportprogramm vor, bei dem auch andere Sportarten auf ihre Therapietauglichkeit untersucht werden sollen.“
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