: Plätzchen für den ruhigen Robbentod
Oberverwaltungsgericht in Lüneburg bestätigt Schiffahrtsverbot im Nationalpark Wattenmeer / Mittlerweile sind vier von zehn Robben in Nord- und Ostsee tot / Todesursache gestrandeter Tümmler unbekannt / Umweltminister Töpfer malt ein Zehn-Punkte-Programm ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Jetzt erhalten die Robben wenigstens einen Platz, um ungestört zu sterben: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte gestern das Verbot jedes Schiffsverkehrs im Nationalpark Wattenmeer. Kurzfristig greifende Rettungsmaßnahmen gegen das Robbensterben in Ost- und Nordsee sind dagegen nicht in Sicht. Und das, obwohl nach den jüngsten Erkenntnissen inzwischen fast vier von zehn Robben verendet sind.
Das internationale Gemeinsame Wattenmeer-Sekretariat in Wilhelmshafen teilte zum Wochenbeginn mit, daß von den ursprünglich 16.000 Seehunden 38 Prozent tot sind. Im dänisch-schwedischen Bereich der Nordsee ist sogar schon über die Hälfte der Meeressäuger gestorben. Dem Sekretariat zufolge sind jetzt auch die letzten, bisher verschont gebliebenen Seehund-Herden in der Ostsee vom Tod bedroht. Während zu Beginn noch vorwiegend Jungtiere der Epidemie zum Opfer fielen, berichten Veterinärmediziner wie Michael Stede vom staatlichen Veterinäramt in Cuxhaven, daß jetzt „auffallend“ viele ausgewachsene Tiere verenden. Ob auch die 40 Tümmler, die seit Jahresbeginn tot an der schwedischen Küste angeschwemmt wurden, derselben Virus-Epidemie wie die anderen Tiere zum Opfer fielen, ist noch ungeklärt.
Mitarbeiter des Tierärztlichen Instituts in Uppsala erklärten, die Obduktion von sechs Kadavern habe weder eine Lungenentzündung noch eine andere gemeinsame Todesursache ergeben. Wissenschaftler der größten Robbenklinik im niederländischen Pieterburen haben inzwischen bekannt gegeben, sie hätten im Juni ein Serum entwickelt, von dem sie hofften, daß es die gesunden Tiere vor der Krankheit schützen könne. Eine Isolierung des Virus sei aber auch ihnen noch nicht Fortsetzung auf Seite 2
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gelungen. Die Substanz, die rein vorbeugend wirken soll, ist bisher 50 Robben verabreicht worden. Ein Heilverfahren für kranke Tiere gibt es nicht.
Mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg wird jetzt den vom Aussterben bedrohten Meerestieren wenigstens etwas Ruhe zugestanden. Der Dritte Senat des Gerichts verwarf gestern ein Urteil aus erster Instanz und erklärte damit ein Fahrverbot für jeglichen Schiffverkehr in drei Zonen des Nationalparks Wattenmeer für zulässig. Auf Bitten des Kieler Umweltministeriums hatte das Bundesverkehrsministerium am 7.Juli eine befristete Sperrung des Nationalparks bis Ende August angeordnet, um den Seehunden weitere Störungen zu ersparen. Gegen diese Maßnahme hatten die Besitzer kleiner Fischkutter geklagt, da sich ihre Fanggründe im gesperrten Gebiet befinden.
Bundesumweltminister Töpfer monierte bei einer Anhörung des CDU-Bundesfachausschusses Umweltpolitik den „katastrophalen Zustand“ der Nord- und Ostsee. Ohne finanzielle Opfer der Bürger werde aber eine Verbesserung der Wasserqualität nicht zu erreichen sein. Um die notwendigen Investitionen aufzufangen, werde dann in einigen Gemeinden die Abwasserabgabe um bis zu 80 Pfennige pro Kubikmeter steigen. Schwerpunkt im 10-Punkte-Programm, das der Minister vorstellte, und das insgesamt 20 Milliarden Mark kosten soll, ist die Verringerung der Phosphor- und Stickstoffeinleitungen aus kommunalen Kläranlagen. Zu Wort gemeldet haben sich mittlerweile auch verschiedene Umweltorganisationen. Die Verbände - darunter der Bund für Umwelt und Naturschutz - vertreten die Ansicht, daß die derzeitigen Robbenhilfsaktionen „weder dem Naturschutz noch dem Tierschutz dienen“. Sie seien eher „ein Alibi für unterlassene Vorsorge- und Verbesserungsmaßnahmen, die das Übel der schleichenden Nordseevergiftung an der Wurzel packen könnten“. Im Kieler Umweltministerium wurde gestern Entscheidung des Lüneburger Oberverwaltungsgerichts begrüßt. Die Sperrung des Nationalparks reiche zwar bei weitem nicht aus, sei aber ein „richtiger Ansatz“ für die weitere Einrichtung von Ruhe- und Regenerationszonen für das „destabilisierte Ökosystem“ Nordsee. Nach den Plänen des Umweltministers sollen in Schleswig-Holstein noch in diesem Jahr alle 34 Großkläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe ausgerüstet werden, um den Schadstoffgehalt an Phosphaten um 70 bis 80 Prozent zu drücken. Die Kosten dafür wurden mit 26 Millionen Mark beziffert.
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