: Nord-Jemen: Das neue Weltwunder von Marib
Mitten in der Wüste wird die drittgrößte Stadt des Jemen aus dem Boden gestampft / Präsident Ali Abdallah Salih will die alte Kornkammer Arabiens neu entstehen lassen / Aber es fehlt das Geld für Bewässerungskanäle, die das Wasser eines neuen Staudamms auf die Felder leiten könnten ■ Von Sabine Rollberg
Normalerweise genügt es, einmal im Leben einen Baum zu pflanzen oder ein Kind zu zeugen. Herrscher, vor allem orientalische, brauchen Gewaltigeres. Die Pyramiden der Pharaonen bis hin zu Nassers Assuan-Staudamm geben davon Zeugnis. Die legendäre Königin von Saba schuf eine Bewässerungsanlage, die den Sabäern, den Vorfahren der heutigen Jemeniten, zu Reichtum und Macht verhalf und zu den sieben Weltwundern der Antike zählte. Dem wollte der Herrscher des heutigen Nordjemen, Präsident Ali Abdallah Salih, nicht nachstehen. Legendäres haftet ihm allein schon deshalb an, weil er Dutzende von Mordanschlägen überlebt hat. Um seinen Ruhm aber für die Ewigkeit zu festigen, wollte er sich noch ein Denkmal mit einem neuzeitlichen Weltwunder setzen.
Über ein Jahrtausend lang war das Gebiet um das alte Marib, der einst blühende Sitz der Königin von Saba, verödet und verlassen. Im jemenitischen Bürgerkrieg vor zwanzig Jahren waren die Ruinen der Stadt bombardiert worden, der Wüstensand übernahm die Herrschaft über das Gebiet.
Die Hoffnung auf ein neues Wunder hat jedoch vor vier Jahren einen neuen Sturm entfacht: Mitten in der Wüste, etwa vier Kilometer vom alten Marib entfernt, soll in ein paar Jahren die drittgrößte Stadt des Jemen aus dem Boden gestampft sein. Breitangelegte Straßen, Tankstellen, ein großes Hotel, in dem zur Zeit noch keine Gäste, sondern die örtliche Verwaltung untergebracht ist, eine moderne Moschee, Geschäfte, Werkstätten, die auf Kundschaft warten, und ein prachtvoller Gouverneurs- und Präsidentenpalast sind Vorboten einer reichen Zukunft.
Noch döst Neumarib wie Klein Laramy in der Wüstenhitze, aber Prognostiker haben errechnet, daß eines Tage hier rund 500.000 Menschen leben werden. Alle Grundstücke im Ort sind bereits verkauft, und auch das umliegende Land ist parcelliert und wird durch rund 300 Brunnen, die man in den letzten Jahren gebaut hat, mit Grundwasser versorgt. Doch das bißchen Grün, das dem Wüstensand abgerungen wird, ist nicht der Anlaß für die Spekulationen und Investitionen. Zum einen hat man hier Öl in der Nähe gefunden, zum anderen aber wartet man auf die Wassermassen, die eines Tages wieder wie in den Zeiten der Königin von Saba eine fruchtbare Oase gedeihen lassen sollen.
Vor zwei- und dreitausend Jahren wurden hier zweimal im Jahr Datteln und Weintrauben geerntet in Gärten, die auch der Koran preist: „Wahrlich, Saba hatte in ihren Wohnungen ein Zeichen: Zwei Gärten, einen zur Rechten und einen zur Linken. Esset von der Gabe Eures Herrn und danket ihm. Ein gutes Land und ein verzeihender Herr.“ Als Nachfolger der Königin von Saba wollte sich nun auch Präsident Ali Abdallah Sali verewigen. Drei Kilometer talaufwärts vom antiken Staudamm entfernt, der heute eine monumentale Ruine ist, wurde in zwei Jahren von einer Schweizer Firma eine riesige Staumauer errichtet.
In den letzten zwanzig Jahren, seit dem Ende des Bürgerkrieges, ist die Bevölkerung enorm gewachsen und damit die Abhängigkeit von Nahrungsmitteleinfuhren. Allein im letzten Jahrzehnt sind die Lebensmittelimporte um das Dreifache gestiegen. Kein Wunder, daß sich die Regierung erinnerte, daß der Jemen, als er noch „arabia felix“ hieß, eine der Kornkammern des Nahen Ostens war. Aber in einem der Länder, das zu den ärmsten zählt, war nicht genügend Eigenkapital für dieses Riesenprojekt vorhanden. Europäische Geldgeber scheuten das Investitionsrisiko, da das Gebiet um Marib bis in die achtziger Jahre durch blutige Stammesfehden als unsicher galt. Schließlich sprang der reiche Nachbar, der Scheich von Abu Dhabi, hilfreich ein. Mit 75 Millionen Dollar wollte er einerseits den zwischen Moskau und Washington geschickt lavierenden Nordjemen unterstützen, andererseits nostalgische Verbundenheit mit seinen Vorfahren bekunden. Schließlich führt er seinen Stammbaum auf die Königin von Saba zurück!
Rechtzeitig zur kleinen Regenzeit im April 1986 war der Damm fertig, und der See konnte sich, nachdem es während der Bauzeit kein einziges Mal geregnet hatte, mit Wasser füllen. Nach der Schneeschmelze führen die Gebirgsbäche, die sich in der Ebene im Flußtal sammeln, große Wassermassen mit sich. Hydrologische Untersuchungen, die vom Deutschen Archäologischen Institut seit 1978 am antiken Damm vorgenommen wurden, haben ergeben, daß danach 700-1.000 Kubikmeter Wasser an der alten Mauer aufprallten, was der Stromgeschwindigkeit des Rheinfalls bei Schaffhausen entspricht. Der alte Damm wurde von den Sabäern wie ein Heiligtum gepflegt. Während der Römischen Belagerung im Jahr 24 vor Christus, als die Bürger von Marib die Nachricht erhielten, daß Risse am Damm aufgetreten waren, opferten sie Teile ihrer Stadtmauer, um das Stauwerk zu reparieren. Endgültig brach der Staudamm der Antike im Jahre 575 nach Christus.
Das Bewässerungssystem hätte ohne weiteres mit kleinen Reparaturen weitere 200 Jahre funktioniert, meint Prof. Jürgen Schmitt, Leiter des Archäologischen Instituts in Sana. Vor zehn Jahren hat er, zusammen mit seinen Mitarbeitern, angefangen, sich mit diesem „genialen“ Bauwerk zu befassen. Er, der sich sonst eher für Religion und Philosophie der Frühgeschichte interessiert, gerät bei der Schilderung der technischen Funktionsweise der antiken Bewässerungsanlage ins Schwärmen: „Die Sabäer hatten sogar eine Vorrichtung geschaffen, das überschüssige Wasser, nachdem es die Oase durchlaufen hatte, wieder in die Stausee zurückzuführen.“ 9.600 Hektar Land wurden damals bewässert.
Heute soll das geplante Bewässerungssystem etwa 6.500 Hektar begrünen. Wann dies sein wird, steht in den Sternen. Obwohl der Staudamm schon jetzt der Stolz der Jemeniten ist
-jeder Staatsgast wird hierher geführt - Früchte hat er bislang noch nicht hervorgebracht. Da die zu bewässernden Felder nicht, wie beim antiken Projekt, unmittelbar hinter der Staumauer liegen, müssen noch Kanäle gebaut werden. Dafür fehlen weiter 25 Millionen Dollar. Die Weltbank hat sich nicht zur Finanzierung bewegen lassen, offenbar ist ihr das Risiko zu groß. Verschiedene Gutachter sind allerdings zu vielversprechenden Prognosen gelangt, die Archäologen aus der Bundesrepublik wurden beim Neubau nicht zu Rate gezogen. Aber nicht nur darüber sind sie verstimmt: Bei den Bauarbeitern sind unwiederbringliche Forschungsgebiete durch 100.000 Lastwagenfuhren voller Baumaterial auf immer zerstört worden. „Einen Wegwerfdamm“ nennt der Archäologe Schmitt das neue Werk. Während der antike Damm ein Jahrtausend im Einsatz war, gibt er dem neuen höchstens dreißig Jahre Lebensdauer.
Zu Betriebszeiten des alten Dammes hatte sich durch Wasserablagerungen eine Sedimentschicht von 18 Metern gebildet. Nach heutigen Berechnungen muß man mit zwei Millionen Schwebstoffen pro Jahr rechnen, die mit dem Flußwasser in den See transportiert werden. In spätestens 200 Jahren wäre der Stausee - sollte er überhaupt so lange bestehen - randvoll mit Ablagerungen. Die Staumauer müßte schon in absehbarer Zeit erhöht werden. Auch die geplanten Kanäle wären davon betroffen. Diese Erkenntnisse sind nicht in die Planung eingeflossen. Außerdem wurden die bei Großprojekten dieser Art auftretenden Eingriffe in den Naturhaushalt und deren negative Auswirkungen nicht durch Voruntersuchungen geprüft.
Im jemenitischen Bergland grassiert die Wurmkrankheit Bilharziose. Die Wasserfläche bildet einen idealen Brutplatz für Erreger und Zwischenwirte. Eine weitere Verbreitung der Augenkrankheit ist ebenfalls zu befürchten. Die Chance, dort einen Badeort für Touristen zu errichten, ist somit ausgeschlossen. Unklar ist noch, ob der See auch eine Brutstätte für Malaria ist. Außerdem weiß man noch nicht, wieviel Wasser beim Transport durch den Wadi versickern wird und ob überhaupt genügend übrig bleibt zur Weiterleitung in die Kanäle. Zudem sind alle boden- und wasserrechtlichen Fragen offen. Unklar ist, wem eigentlich das Wasser gehört und an wen verteilt werden soll.
In der 34. Sure des Koran heißt es weiter: „Sie, aber wendeten sich ab, und da sandten wir über sie die Flut des Dammbruchs und vertauschten ihre Gärten mit zwei Gärten von bitterer Speise und Tamariske und ein wenig Lotusbäumen. Solches gaben wir ihnen zum Lohn für ihren Unglauben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen