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Nicaragua: Demokratieprozeß boykottiert

Entwurf zum neuen Wahlgesetz im Parlament vorgestellt / Neues Wahlverfahren benachteiligt kleinere Parteien / Unterschriften von zehn Prozent der Wahlberechtigten sind zur Wahlzulassung nötig / Oppositionsparteien protestierten und zogen aus Parlament aus  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Mit dem Auszug aus dem Parlament protestierten am Dienstag vier nicaraguanische Oppositionsparteien gegen den Entwurf eines neuen Wahlgesetzes. Er sei „undemokratisch und antipluralistisch“ hieß es zur Begründung. Der von der Präsidentschaft eingebrachte Gesetzesvorschlag benachteiligt die kleineren Parteien mehr als das bisher gültige provisorische Wahlgesetz von 1984. Die Sandinisten halten den Protest für ein weiteres Manöver der Opposition, um den Demokratisierungsprozeß zu boykottieren.

Die Oppositionspolitiker hätten sich zu dem Schritt entschlossen, erklärt Luis Sanchez von der Sozialistischen Partei, nachdem die sandinistische Parlamentsmehrheit einen Gegenentwurf der Opposition ohne Debatte abgeschmettert hatte. „Eine Teilnahme an der Debatte würde uns mitverantwortlich machen für ein Gesetz, das wir kategorisch zurückweisen, da es die Prinzipien der Verfassung verletzt“, heißt es in einer Erklärung der vier Parteichefs, die gemeinsam mit Vertretern von vier außerparlamentarischen Parteien vor der Presse erschienen. Die Konservativ -Demokratische und die Marxistisch-Leninistische Partei verblieben ebenso im Parlament wie einige Dissidenten innerhalb der „Unabhängigen Liberalen (PLI) und der „Sozialistischen Volkspartei“ (PPSC). Was den Parlamentariern der PLI, der PPSC, der Sozialisten (PSN) und Kommunisten (PCdN) am sandinistischen Entwurf besonders mißfällt, sind die Bestellung der Wahlbehörden und die Bedingungen für die Einschreibung der Parteien.

Der Oberste Wahlrat soll nach diesem Entwurf auf der Grundlage von Dreiervorschlägen des Präsidenten von der (sandinistisch dominierten) Nationalversammlung bestimmt werden. Die regionalen Wahlbehörden wiederum würden dann vom Obersten Wahlrat eingesetzt. Parteien, die sich um ihre Zulassung zu den Wahlen bewerben, müßten die Unterschriften von mindestens zehn Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten beibringen. Luis Sanchez: „Das wären über 154.000 Unterschriften.“

In El Salvador, mit seinen mehr als doppelt soviel Einwohnern, werden nur 5.000 Unterschriften verlangt. Und die Linksparteien haben dort ihre Schwierigkeiten, diese rechtzeitig zusammenzubekommen. Bei den Wahlen 1984 in Nicaragua haben außer der regierenden FSLN nur noch zwei Parteien mehr als zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Für fast alle der rund 15 Oppositionsparteien wäre diese Bedingung eine unüberwindbare Hürde.

Als Gesetz von Verfassungsrang muß das Wahlgesetz im Parlament mit qualifizierter Mehrheit von 60 Prozent verabschiedet werden. Mit ihren 61 von 96 Abgeordneten können sich die Sandinisten aber auch in diesem Fall ohne Stimmen der Opposition durchsetzen. Die zwölf Abgeordneten gehen davon aus, daß der Entwurf absichtlich so hart formuliert wurde, um als Verhandlungspfand zu dienen: Im Rahmen einer neuerlichen Dialogrunde mit den Contras oder beim nationalen Dialog, der seit Ende April suspendiert ist, könnte das Gesetz durchaus wieder abgemildert werden.

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