„Es kommt auf das Gefühl an“

■ Olga Nemes, Deutsche Meisterin im Tischtennis und Olympia-Teilnehmerin

Es sieht ziemlich leicht aus, wenn Olga Nemes den Ball sanft antippt und einen langsamen Aufschlag bringt, dabei das weiße Kügelchen aber so verheerend anschneidet, daß es für die Gegnerin schier unkontrollierbar wird. Wieviel Schweiß in der „Leichtigkeit“ verborgen ist, läßt sich von außen kaum feststellen. Leicht ist nämlich nur der Tischtennisball, 2,5 Gramm weißes Zelluloid, das immerhin mit einer Spitzengeschwindigkeit von bis zu 170 Stundenkilometern über die Platte geschossen werden kann. Das erfordert auf dieser kleinen Fläche eine enorme Reaktionsfähigkeit: nur eine Zehntelsekunde bleibt, um zum Rückschlag auszuholen.

Viel Training für Technik und Reaktion sind vonnöten. „Ich übe zur Zeit zweimal am Tag“, sagt die Profi-Spielerin, die für ihre angewandten Ballkünste jährlich eine sechsstellige Summe mit nach Hause bringt.

Olga Nemes ist die Nummer eins im bundesdeutschen Tischtennis und nahezu konkurrenzlos. Nur im vergangenen Jahr mußte sie einmal ihre Spitzenposition aufgeben, weil sie sieben Monate lang an einer Schilddrüsenüberfunktion laborierte.

Olga Nemes, halb Ungarin, halb Rumänin, war als 15jährige aus dem stalinistisch beherrschten Armenhaus Rumänien geflüchtet. Dort - in Tirgu Mures - hatte sie ihr Vater, ein gelernter Glasbläser, an die Tischtennisplatte gebracht und offensichtlich recht gut trainiert. Olga kam bereits mit zwölf Jahren in die rumänische Nationalmannschaft. Bei einem Länderkampf setzte sie sich von der Schweiz aus in die Bundesrepublik ab. Wenig später erhielt sie ein „gutes Angebot“ des ATSV Saarbrücken, wo sie bis heute aktiv ist. ATSV-Manager Heiner Rebmann war für die damalige Asylbewerberin eine große Hilfe. „Ich habe ihm viel zu verdanken“, sagt Olga, für die Rebmann nicht nur ATSV -Manager, sondern auch „mein persönlicher Manager“ ist. Er war es auch, der ihren Vater Josef nach der geglückten Familienzusammenführung als hauptamtlichen Trainer beim ATSV engagierte.

Der Vater entwickelte ein eigenes Konzept, um die Tochter nach ihrer langen Krankheit für Olympia, wo Tischtennis zum ersten Mal im Programm ist, fitzukriegen: viel Wettkampfpraxis durch internationale Einzelturniere bei vorübergehendem Rückzug aus der Tischtennis-Bundesliga.

Olga Nemes ist für Seoul nicht ohne Chancen. Ihre „Angstgegnerinnen“ kommen aus China, „aber möglich ist alles“. Die inzwischen 20jährige Ex-Rumänin, die seit 1986 im Besitz eines bundesdeutschen Passes ist, traut sich eine Finalteilnahme zu. Im Tischtennis gebe es viele „versteckte Waffen“. Gemeint ist das Material. Der Internationale Tischtennis-Bund hat bislang nur Rahmenrichtlinien entworfen, z.B., daß „nur noch“ 50 verschiedene Ballsorten erlaubt sind. „Jeder wirkt und reagiert anders auf die Beschaffenheit der Schläger, bei denen es wiederum unzählige Ausarbeitungen gibt“, erzählt Olga Nemes, die es für möglich hält, daß sie in Korea einer Gegnerin gegenüberstehen kann, mit der sie nur deshalb nicht zurechtkommt, weil sie deren Material nicht kennt.

„Im Tischtennis“, so Olga Nemes, „kommt es eben hauptsächlich aufs Gefühl an.“

Thomas Schreyer