„Ehe für Volksgemeinschaft“

■ Boom beim Standesamt - Jede vierte Ehe wird wieder geschieden

Kein Steuervorteil, wie in früheren Jahren, sondern die glückbringenden - vier Achten im Datum ließen die Brautpaare gestern Schlange stehen. Rein statistisch gesehen, werden von den 75 Ehen, die am Montag, dem Schnapstag, auf dem Standesamt Bremen-Mitte geschlossen wurden, etwa 20 wieder geschieden. Aber: So hübsch angezogen und so auf einen Haufen kommen die Leute zu ihrer Scheidung nicht: Eher alltäglich ist das Outfit vor den Kammern des Bremer Familiengerichts. Und die Gesichter sehen da auch anders aus. Sie strahlen nicht die überspannte Fröhlichkeit der Hochzeitsfeierlichkeiten aus. Stattdessen: steinerne Minen, verweinte Augen und blaue Flecken, meistens bei den Frauen. Gefeiert wird da allenfalls „unter sich“: Die geschiedene Frau geht mit einer Freundin in ein Cafe, der Mann kehrt, wenn alles überstanden ist, zu Schnaps und Korn zurück. Und auf ein besonders ausgefallenes Datum achtet bei der Scheidung niemand: Die Verhandlungstage werden von Amts wegen festgesetzt.

Aus all diesen banalen Gründen war beim Bremer Amtsgericht, Abteilung Familienangelegenheiten, gestern ein ganz normaler Tag. Daß es ein Schnapsdatum war, an dem überdurchschnittlich viele BremerInnen heiraten wollten, wurde dort kaum registriert. Die 13 Bremer Familienrichter gingen wie immer ihrem trennenden Beruf nach, einsam wie immer: Sie sind als Einzelrichter tätig, ganze Kammern beschäftigen sich nicht mit der kleinsten sozialen Einheit. Auch gestern regelten sie die Konkursmassen von Unternehmen, wie sie wenige hundert Meter entfernt 75 mal erneut gegründet wurden: Vermögen, Schuld und Schulden, Sorgerecht für die Kinder. Nur eine junge Frau, die gestern Verhandlung hatte, die wäre gern geschieden worden, just während die anderen heirateten. Aber: Ihr Verfahren war noch nicht urteilsreif. „Schade“, sagte sie achselzuckend. Nun muß sie sich bis zum Oktober gedulden.

Wer von den heute amtlich Vermählten auch an einem adäquaten Schnapstag wieder geschieden werden will, die muß es genau elf Jahre und einen Monat mit ihrem Gatten aushalten: Auf den 9.9.99 sollten sich diejenigen spitzen, die unbedingt gestern heiraten wollten. Denn: Nicht nur eine Heirat kann Glück - und Unglück - bringen. Auch eine Scheidung.

Für einen Mann, der gestern mitten im Trubel seiner Arbeit nachging, hat weder Heirat noch Scheidung mit Glück zu tun. Die Rede ist von Waldemar Röder, dessen Beruf es ist, im Standesamt Mitte die vollzogenen Scheidungen zu registrieren. Für ihn ist die Ehe eine Institution, „die für unsere Volksgemeinschaft unverzichtbar ist“. Nach der russischen Revolution habe es dort die freie Ehe gegeben, sagte der Fachmann ins Mikrophon von Radio Bremen. Die habe aber zum Chaos geführt - und schließlich habe man auch dort die Zivilehe wieder eingeführt. m

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