: Die Hanauer Staatsanwaltschaft kuscht
Angeblich „keine Anhaltspunkte für Gesetzesverstöße“ der NUKEM gefunden / Nach Regierungswechsel zurückgepfiffen? / Hanau-Ausschuß legt Zwischenbilanz vor / BBU listet 14 offene „Atomfragen“ auf und verlangt Stellungnahme der Staatsanwaltschaft / Keine Erinnerung an „Freibrief“ ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Acht Monate nach dem Transnuklear/NUKEM -Atomskandal, der zum Jahreswechsel 87/88 die Republik erschütterte, scheint die ermittelnde Hanauer Staatsanwaltschaft ihren „Frieden“ mit der Atomgemeinde gemacht zu haben. Schon bei der Einstellung der Ermittlungen gegen die Betreiber der Brennelementefabrik NUKEM und verantwortliche Mitarbeiter der Atombehörde der hessischen Landesregierung im Juni '88 hatte die Hanauer Bürgerinitiative Umweltschutz (IUH) der Hanauer Staatsanwaltschaft vorgeworfen, der NUKEM einen „Persilschein“ ausgestellt zu haben. Obgleich der Staatsanwaltschaft der Tatbestand des illegalen Betriebs einer Atomanlage in Sachen ALKEM noch eine Anklageerhebung wert war, verzichtete die Ermittlungsbehörde bei der NUKEM „freiwillig“ auf diese Anklageerhebung.
Für die Bürgerinitiative erklärte deren Sprecher Elmar Diez seinerzeit, daß die Hanauer Staatsanwaltschaft „völlig unglaubwürdig“ geworden sei. Diez: „Es kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn ein früher eindeutiger Tatverdacht im Hinblick auf den illegalen Betrieb einer kerntechnischen Anlage nunmehr bei einer anderen Atomfirma von der gleichen Staatsanwaltschaft vom Tisch gefegt wird.“
Die Hanauer Staatsanwaltschaft hatte der Atomfirma NUKEM schon im Januar bescheinigt, es gebe - trotz laufendem Transnuklear/NUKEM-Skandal - „keine Anhaltspunkte“ dafür, daß die NUKEM oder die „beteiligten Elektrizitäts -Versorgungsunternehmen“ (PREAG, RWE) Gesetzesverstöße begangen hätten. Das wurde den Bürgerinitiativen aus Hanau, Aschaffenburg und Wackersdorf jetzt bei der WAA-Anhörung in Neunburg vorm Wald bekannt. Ein Vertreter der NUKEM verwies während der Anhörung triumphierend auf ein Schreiben der Hanauer Staatsanwaltschaft vom 27.1.88, in dem der Atomfirma mitgeteilt worden war, daß es „keine Anhaltspunke“ für vermutete Gesetzesverstöße der Atommutter gebe.
Nicht nur die Grünen im hessischen Landtag glauben, daß die Hanauer Staatsanwaltschaft nach dem Regierungswechsel im April '87 und dem für die Atomindustrie und die hessische Landesregierung peinlichen ALKEM-Verfahren, bei dem die Illegalität der atomaren Vorabzustimmungen höchstrichterlich festgestellt wurde, vom hessischen Justizministerium „zurückgepfiffen“ wurde. Der grüne Abgeordnete von Plottnitz schrieb seinerzeit im Pressedienst seiner Partei, die Einstellung des Verfahrens gegen NUKEM sei wohl „auf ausdrücklichen Wunsch der hessischen Landesregierung“ hin erfolgt.
Auch die Hanauer Bürgerinitiative vermutete hinter den ganzen „dubiosen Vorgängen“ ein „politisches Komplott“, an dem das hessische Justiz- und das Umweltministerium beteiligt seien und das nur den einen Zweck erfüllen soll: „Ausstellung von Persilscheinen für die Hanauer Atomindustrie.“ Doch Beweismaterial für ihre Vorwürfe können weder die Bürgerinitiativen noch die Grünen vorlegen. Die Hanauer Staatsanwaltschaft selbst hat wiederholt erklärt, daß es einen solchen „ministeriellen Druck“ auf ihre Ermittlungsarbeit nicht gebe und Hessens Justizminister Koch (CDU) gehört zu den großen Schweigern der ohnehin auf „Unauffälligkeit„(Wallmann) bedachten CDU/FDP -Landesregierung.
Die Befürchtung, daß die Skandale um NUKEM und Transnuklear - trotz wichtiger Verdachtsmomente - unter den Teppich gekehrt werden sollen, hat auch durch den Zwischenbericht zum Hanau-Untersuchungsausschuß, den die hessischen Regierungsparteien CDU und FDP am Donnerstag in Wiesbaden gemeinsam vorstellten, an Gewicht gewonnen. So stellen die christliberalen Ausschußmitglieder fest, daß „zu keinem Zeitpunkt“ des NUKEM/Transnuklear-Skandals eine Gefahr für die Mitarbeiter der Hanauer Betriebe oder gar für die Bevölkerung bestanden habe. Nie seien in der Bundesrepublik Fässer mit schwach radioaktivem Abfall transportiert oder gelagert worden, die nicht - „entsprechend ihrem Inhalt“ gesichert gewesen seien. Und schließlich: „Transnuklear und NUKEM waren in ihrer innerbetrieblichen Organisation nicht darauf vorbereitet, Unregelmäßigkeiten von Mitarbeitern durch Kontrollmechanismen zu vermeiden oder aufzudecken.“
„Menschliches Versagen“
Für CDU und FDP reduziert sich damit der gesamte Atomtransportskandal auf die Formel vom „menschlichen Versagen“ einiger Mitarbeiter der Transnuklear, der NUKEM und einiger bundesdeutscher AKWs. Und bei diesen, für unerlaubte finanzielle Transaktionen verantwortlichen Mitarbeitern hat sich das Ermittlungsproblem teilweise „von selbst“ gelöst. Ein PREAG-Manager warf sich vor einen fahrenden Zug und ein Transnuklearmanager, der als Schlüsselfigur im Skandal galt, erhängte sich in der U-Haft. Die Grünen im Landtag, die mit ihrem Obmann Rupert von Plottnitz im Hanau-Ausschuß vertreten sind, warfen CDU und FDP denn auch vor, eine Strategie der „Beschwichtigung und Verharmlosung“ zu verfolgen. Als „bezeichnend“ werteten es die Grünen, daß CDU und FDP die Wahlmanipulation durch die Degussa noch nicht einmal erwähnt hätten. Georg Dick: „Hier drückt wohl das schlechte Gewissen.“
Für den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) war der „Freibrief“ der Hanauer Staatsanwaltschaft für die NUKEM jetzt Anlaß, dieser Staatsanwaltschaft einen Katalog von 14 Fragen vorzulegen, die sich mit den immer noch unaufgeklärten Vorgängen bei Transnuklear, bei NUKEM, bei Eurochemic in Belgien, bei Studsvik in Schweden, bei der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) in Essen und bei der Firma Kraft-Anlagen-Heidelberg (KAH) beschäftigen. BBU -Vorstandsmitglied Eduard Bernhard wirft der Staatsanwaltschaft in Hanau vor, in allen offenen Fragekomplexen „wichtige Verdachtsmomente gar nicht geprüft“ zu haben.
So wurde von der Staatsanwaltschaft bislang nur ermittelt, daß von der Transnuklear-Bestechungssumme von etwa 5 Millionen DM exakt 2,05 Millionen DM an inzwischen bekannte MitarbeiterInnen diverser AKWs ausgeschüttet wurden. Über den Verbleib oder den Verwendungszweck der restlichen fast 3 Millionen DM ist noch immer nichts bekannt.
Noch immer unbekannt sind auch die Auftraggeber, die - via Transnuklear - feste und flüssige radioaktive Abfälle nach Mol in Belgien haben schaffen lassen. Zwar geht aus der sogenannten Aufwendungsliste der Transnuklear hervor, daß die RWE, die PREAG und die Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW) und die Bayernwerke ihren Atomabfall illegal nach Belgien transportieren ließen. Doch solange den einzelnen Energie-Konzernen nicht genau nachgewiesen werden kann, welche Mengen wer nach Belgien hat verbringen lassen, können sie nicht gezwungen werden, diesen atomaren Abfall wieder zurückzunehmen. In diesem Zusammenhang will der BBU von der Hanauer Staatsanwaltschaft auch wissen, mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen die Leiter der AKWs, aus denen illegal Atomabfälle nach Belgien gingen, zu rechnen haben.
Skandale ohne Folgen
Trotz insgesamt vier Verseuchungsfällen bei der NUKEM seien auch diese Skandale bislang „ohne Folgen“ für die Verantwortlichen geblieben, meint der BBU in seinem Schreiben an die Hanauer Staatsanwaltschaft weiter. Und auch die GNS, die jetzt für die Transnuklear die Atomtransporte durchführt, blieb bislang unbehelligt, obgleich aus dem Vernehmungsprotokoll des durch Selbstmord ums Leben gekommenen Transnuklear-Managers hervorgeht, daß die GNS bei der Auftragsbestechung „kräftig mitgemischt“ hat.
Intensiv beschäftigte sich der BBU auch mit offen gebliebenen Fragen in bezug auf die Auslandsbeziehungen der Transnuklear, etwa nach Belgien oder nach Schweden. So habe die Hanauer Staatsanwaltschaft bis heute noch nicht erklärt, ob sie sachdienlichen Hinweisen schwedischer Umweltschützer nachgegangen ist. Danach soll die Transnuklear in der Atom -Konditionierungsanlage in Studsvik/Schweden zur Finanzmanipulation und zur Ausschüttung von Bestechungsgeldern eine Briefkastenfirma eingerichtet haben.
Solange all diese Fragen noch offen seien, sei es „völlig unverständlich“, daß die Staatsanwaltschaft der NUKEM als „Mutter“ der Transnuklear schon im Januar einen „Freibrief“ erteilt habe, meinte Eduard Bernhard. Gegenüber der taz erklärte Oberstaatsanwalt Farwick auf Anfrage, daß ihm ein solcher „Freibrief“ für die NUKEM nicht bekannt sei. An das im Rahmen der WAA-Anhörung zitierte Schreiben vom 27.1.88 konnte sich Farwick „nicht erinnern“.
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