Wachstumspolitischer Attentismus

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Staatssekretär Otto Schlecht bemühte sich erst gar nicht, seine Schadenfreude zu verbergen. Sein Spott galt den ewigen Querulanten, die nach dem Börsencrash vom Oktober 1987 Krisenszenarien beschworen. Tatsächlich ist alles anders gekommen. Für das laufende Jahr, so Schlecht jetzt vor der Presse, wird mit einem realen Wirtschaftswachstum zwischen zweieinhalb und drei Prozent gerechnet.

Es überrascht mittlerweile keinen mehr, daß auch im laufenden Jahr das Produktionswachstum am Arbeitsmarkt weitgehend vorbeigeht: Bei den im Juli gemeldeten 2,2Millionen Arbeitslosen wird es im Jahresdurchschnitt bleiben. Während das Münchner ifo-Institut für das nächste Jahr sogar einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen prognostiziert, hat Staatssekretär Schlecht die Hoffnung parat, daß bis 1992 die Arbeitslosenzahl unter die Zwei -Millionen-Marge gedrückt werden könne. Aber wen interessieren auch schon die Arbeitslosenzahlen? Die bundesdeutsche Gesellschaft jedenfalls scheint sich längst mit der Existenz einer industriellen Reservearmee in Millionenhöhe abgefunden zu haben. Politischer Verrenkungen für dieses potentielle Skandalon bedarf es seit der „Wende“ längst nicht mehr.

Das eigentlich Bemerkenswerte an der konjunkturellen Entwicklung ist, daß das Wirtschaftswachstum ohne entsprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen zustande kam. Während nämlich Bundeswirtschaftsminister Bangemann völlig von der Bildfläche verschwunden und Finanzminister Stoltenberg damit beschäftigt war, von einem Steuerfettnäpfchen ins nächste zu treten, haben sich die Bundesdeutschen munter ans Konsumieren gemacht. Begünstigt wurde der Konsumstoß in starkem Maße von der internationalen Rohstoffbaisse und der Wechselkursentwicklung der DM, die die Importe verbilligten.Die gestiegene Kaufkraft konnte so munter verpulvert werden. Und nicht zu vergessen ist selbstverständlich der trotz Dollarabwertung anhaltende Exportboom, der das Wachstum anschob. Seit den Zeiten des „Weltökonomen“ Schmidt können diese Entwicklungen allerdings nicht mehr mit politischen Leistungen Bonns begründet werden. Aber vielleicht ist dieses Nicht-Handeln der Bonner Politicos die neue wirtschaftspolitische Strategie. Immerhin vermeidet man damit, selbst große Fehler zu machen, die dann wieder negativ auf den Wachstumsprozeß zurückwirken. Was passieren kann, wenn man sich nicht an diese Devise hält, wird vom ifo-Institut ausgeführt: Die Einführung der Erdgas und Quellensteuer sowie die Erhöhung der indirekten Steuern werden den privaten Haushalten etwa 13 Milliarden DM an Kaufkraft entziehen und den Wachstumspfad der bundesdeutschen Ökonomie absenken. Wirtschaftspolitischer Attentismus wäre angebrachter gewesen.

Kurt Zausel