: In vitro veritas
■ Die Gesellschaft für deutsche Sprache macht sich um Klarheit, Verständlichkeit und Ausdruckskraft verdient
Häßlich sind die möchte-gern-lockeren Begriffe der deutschen Presse: Wer ärgert sich nicht über das „Retortenbaby“ zum Beispiel? Da muß es doch einen „angemesseneren und humaneren“ Ausdruck geben, dachte die Gesellschaft für deutsche Sprache, schrieb einen Wettbewerb für eine bessere Bezeichnung aus und setzte urgewaltige Potenzen in Bewegung. 360 Einsendungen flatterten heran und wurden in Körbchen gepackt: ins erste die Einsendungen, die den Elternwunsch einseitig in den Vordergrund stellten - ungeeignet, „weil sie jegliches Nachdenken über die Bedingungen und den Hintergrund ihrer Erfüllung einschläfern“. Beispiele: Baby der Wünsche, Traum- und Wonnenkind, Wunschengerl. Weg damit. Zweites Körbchen: Vorschläge, die die kunstgezeugten Kinder „in die Nähe eines fragwürdigen Ideals“ rückten - abgelehnt wurden zum Beispiel Baby 3000 oder Neuzeitkind. Und im dritten Körbchen landeten schließlich die „freiwillig oder unfreiwillig komischen“ Lösungen, als da wären Künstling, Dekadenz-Ekel, Zuchtmensch oder Setzling.
Die Körbchen waren voll, die Mienen lang - wie sollen wir die Retortenbabies denn bloß nennen? Zwischen den Körbchen jedoch hatte ein Erlanger Germanist seine Duftmarke hinterlassen, und aufatmend proklamierte die Jury den Sieger: IVF-Kind heißt die Lösung - für „in vitro -Fertilisation“, auserwählt wegen der „sachlich richtigen Beschreibung dieser Zeugungsweise, die das so entstandene Leben weder diskriminiert noch in seinem Wert überhöht“. Jetzt allerdings geht's erst richtig los: mit intensiver Werbung soll das IVF-Kind in die Nachschlagewerke und Gesetzestexte gedrückt werden. Merke: Die Sprache lebt.
mb
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