: PalästinenserInnen in Bergen-Belsen
■ Blumengruß unterm Davidstern: Palästinensische Jugendliche aus Tamra/Israel besuchen mit einer Bremer Schulklasse das ehemalige KZ Bergen-Belsen bei Celle / Zwischen Doppelkopf, Fotos und Tiefflieger-Übungen der Bundeswehr
Im hinteren Teil des Busses ist was los: Fröhliches Singen, die Hände klatschen den Takt. Im vorderen Teil herrscht morgendliche Schläffe, Zigaretten werden angezündet, die Doppelkopfkarten ausgeteilt. Hinten sitzen 13 SchülerInnen aus Tamra, 25 Kilometer nördlich von Nazareth. Vorne hat eine Klasse 11 vom Schulzentrum Huckelriede Platz genommen. Was sie verbindet, ist das Ziel: das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle.
Schon am 1. August waren die SchülerInnen aus der ausschließ
lich von Palästinensern bewohnten Kleinstadt Tamra in Bremen angekommen. An der Weser erwartete die 17- bis 18jährigen Jugendlichen ein buntscheckiges Programm: die obligate Stadtrundfahrt, ein Besuch im Museumsdorf Cloppenburg und eine Hafenrundfahrt. Das Programm, das Geschichtslehrer Hans Hedemann vom Schulzentrum Huk kelriede zusammengestellt hatte, setzte aber auch politische Akzente: Treffen mit dem Friedenskreis der Zions-Gemeinde und ein Small-talk mit SPD-Chef Herbert Brückner über Nahostprobleme.
Was wissen Jugendliche aus einer arabischen Kleinstadt in Israel über die jüngere deutsche Vergangenheit? Ziemlich viel, meint deren Englischlehrer, Mousa Saghier. Er begleitet die SchülerInnen. Die von den jüdischen Behörden auch für arabische SchülerInnen herausgegebenen Bücher informieren ausführlich über Holocaust und NS-Ideologie. Geschichte werde allerdings stets vom israelischen
Standpunkt aus vermittelt. Für Palästinenser, die in Isreal leben, gibt es da kaum Identifikationsangebote.
Im Heidestädtchen Wiezen steigt Julius Kriszan in den Bus. Der Lehrer arbeitet stundenweise für den Besucherdienst, der Gruppen durch das Lager Bergen-Belsen führt.
Julius Kriszan ist ein engagierter Führer, der seinen BesucherInnen zu Blicken hinter die
selbstgefällige Fassade bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung verhilft. Bevor es zur offiziellen Gedenkstätte geht, dirigiert der weißhaarige Pädagoge den Bus über holprige Straßen an den Rand des Truppenübungsplatzes Bergen, dem größten Kriegsspielplatz Europas. Die Namen einzelner Camps erinnern an verlorenes Terrain: Allenstein, Gumbinnen, Trakehnen. An die 20 Dörfer, die 1934 dem Übungsplatz weichen mußten, erinnert nichts. Panzer, Unimogs und olive Lastwagen kommen uns entgegen.
Versteckt in einem Birkenwäldchen liegt der Friedhof der sowjetischen Kriegsgefangenen. „Das gehört auch zu Bergen -Belsen“, sagt Julius Kriszan. 50.000 Kriegsgefangene ließ die Wehrmacht hier im Winter 1942 krepieren. Verharmlosend heißt es auf dem Denkmalssockel: „Den sowjetischen Soldaten zum Gedenken, die während des zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft in großer Zahl gestorben sind.“ Ein Schüler aus Tamra fotografiert den Stein, während ein Militärhelikopter im Tiefflug über die Gruppe hinwegdonnert.
Julius Kriszan weiß von Attak ken auf das sowjetische Mahnmal. Neonazis aus Wiezen, die sich „Teno“ - „technische Nothilfe und Übungsstaffel e. V.“ nennen - proben in der Nähe auf dem Grundstück eines honorablen Arztes den Bürgerkrieg. Die braune Bande sei auch verantwortlich für „Juda-verrecke„-Schmierereien in Bergen -Belsen.
Vorbei an Bundeswehr-Panzern, die an einer Wartungsanlage von Uniformierten manöverfein gemacht werden, geht's zur nächsten Station: dem KZ Bergen-Belsen. Vor allem „Austauschjuden“ verfrachteten die Nazis in das Lager, das erst wäh
rend des Krieges entstand. Sie sollten gegen deutsche Kriegsgefangene ausgewechselt oder durch Lösegeldzahlungen ausländischer jüdischer Organisationen zu Geld gemacht werden. Daneben gab es in Bergen-Belsen ein Lager für Juden aus neutralen Staaten. 1944 füllte die SS das Lager rasch mit deportierten Frauen aus Auschwitz-Birkenau. 50.000 Menschen überlebten Hunger und Epidemien im Lager nicht. Als die englischen Truppen im April 1945 das Lager befreiten, fanden sie die Leichen von 10.000 unbeerdigten Lagerinsassen.
Die Gruppe aus Tamra legt am jüdischen Ehrenmal einen freundlichen Blumenstrauß nieder. Auf der selbstbemalten Schleife steht: „Zum Gedenken an die Opfer des Faschismus. Die Palästinenser.“
„Ich wußte überhaupt nicht, daß die Nazis auch noch andere Leute als die Juden umgebracht haben!“ sagt die Schülerin Anwar. In die große Mauer hinter dem Obelisken sind Sätze in den Sprachen all jener Menschen eingehauen, die in Bergen -Belsen umgebracht wurden. Hellere Steine verraten, daß die offiziösen Bewältiger der Vergangenheit sich mit der vollen Wahrheit schwertun: Die Erinnerung an die Sinti wurde erst später, nach Demonstrationen, hinzugefügt. Asma, eine der TamranerInnen, meint: „Wir kennen das Gefühl von Mitleid. Aber das, was die Israelis in den besetzten Gebieten mit den Palästinensern machen, ist deshalb nicht weniger schlimm.“
Am Montag fliegen die Jugendlichen zurück nach Tamra. Über eines hat sich Rafa aus Tamra gefreut: Rassistische Pöbelei hat er in Bremen nicht erlebt.
Günter Beye
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