: Bitte, bitte eine Brise!
■ Deutsche Meiterschaft der O-Jollen auf dem Wannsee / Der Essener Roland Franzmann gewann den Titel / Segeln, keine Sache für Morgenmuffel / Dafür aber ein Sport für „jedermann“? /
„Klar könnt ihr mitkommen, wenn ihr was über die Meisterschaft berichten wollt“, hatte mir am Telefon Ulrich Zastrow, der Wettkampfleiter, erzählt, „wir fahren um halb neun mit den Booten raus.“ Auf dem Clubgelände des SC Gothia an der Scharfen Lanke herrscht um 7.30 Uhr schon reges Treiben unter den 44 Teilnehmern, die ihre rund 200 Kilo schweren O-Jollen ins Wasser bugsieren. Unsere Annahme, die Regatta würde in Clubnähe gesegelt, erweist sich als fataler Irrtum. Fritz, unser Käpitän für die nächsten acht Stunden, klärt uns auf: „Die besseren Segelreviere liegen im Süden von Lindwerder, am Wannsee vor Schwanenwerder und vor der Insel Immchen.“ Das sind gut acht Kilometer Wasserlinie von der Scharfen Lanke.
Kein Lüftchen regt sich um halb neun Uhr, als die gedrungenen Jollen in Pulks von mehreren Begleitbooten ins Schlepp genommen werden. Mit gerafften Segeln und skeptischen Mienen blicken die Skipper in den diesigen Morgenhimmel. Erst mit zweitägiger Verspätung konnten die Wettfahrten beginnen. Eine stabile Wetterlage über Berlin hatte den Seebären eine konstante Flaute beschwert. Der direkte Kontakt mit Elementen, mit der Natur fasziniert die Segler. Sich gegen Wind und Wetter durchzusetzen, mit allen widrigen Böen fertig zu werden, darin liegt der Reiz des Segelns. Und nun kein Wind. Das ist böse. So hoffen alle auf gute, stetige Winde wie am Donnerstag, als richtig was los war auf dem Wasser.
Die Sonne vertreibt langsam die morgendlichen Dunstschwaden, es briest leicht auf. Wir tuckern mit zehn Jollen im Schlepp langsam flußaufwärts. Kaum ein Boot ist auf der morgendlichen Havel auszumachen. Fritz geht zu seiner Kühltasche und öffnet die Bordbar. Cola und Bier hat er zu bieten. So läßt sich's auch in Berlin angenehm leben. Aber wer kann sich das schon leisten? Wieder kann uns Fritz weiterhelfen: „Segeln ist heute ein Sport für jedermann. Vereinsbeitrag und Bootsstandmiete belaufen sich auf 650 Mark im Jahr. So eine O-Jolle kostet neu an die 18.000 Mark. Ältere Bote bekommt man gebraucht ab 5.000 Mark.“ Der alte Bootstyp, 1936 für die Olympischen Spiele konstruiert, wird meist von erfahrenen Seglern geführt.
Bis kurz vor zwölf wird eine richtige Brise erwartet. Als dann der erste Start erfolgt, ist die Freude nicht von langer Dauer. Eine Drehung der Windrichtung läßt den durch Bojen markierten Dreieckskurs unsinnig werden. Die Wettfahrt wird abgebrochen. Nachdem der Kurs den neuen Windverhältnissen angepaßt wurde, kann die vierte Wettfahrt endlich gestartet werden.
Auch dieser Durchgang leidet streckenweise unter chronischem Windmangel. Die Entscheidung über den Titel fällt in dieser vierten Wettfahrt. Nach einem ausgesprochen schlechten Start gelingt es Roland Franzmann, einem Essener Polizeibeamten, sich vom 32. auf den fünften Platz zu verbessern. Das reicht zum Deutschen Meister. Der Siemensstädter Achim Görzig ersegelt sich Platz zwei.
Ingo Kuzia
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