: Journalisten machen „Tatort live“
■ Die Gladbecker Bankräuber: Journalisten spielten alle erdenklichen Nebenrollen, für die Polizeibeamten war nur die Rolle des „dummen August“ übrig
„Glaubst Du, daß heute abend jemand Denver guckt?“ Der Junge, der seinen Freund dies fragt, hat sich auf einem LWK hinter ein paar Rohre geduckt, 150 Meter weiter steht der gekaperte Bus an der Haltestelle in Huckelriede. Zwei Tage lang bot sich den Bundesbürgern über Radio und Fernsehen ein live-Krimi, die Journalisten waren nicht nur immer dabei, wenn die Bankräuber sich verpflegten oder als sie die Geisel erschossen, sie agierten mit.
Wenige Minuten nachdem die Bankräuber am Mittwoch abend den Bus der Linie 53 in ihre Ge
walt genommen hatten, trafen drei Wagen mit Journalisten an der Haltestelle Huckelriede ein. Wegen der Funkverbindung mit Niedersachsen konnte die Polizei ihre Funk nicht verschlüsseln - mühelos war er in Bremen mitzuhören. Der Fotograf Peter Meyer wurde bald von einem der Bankräuber herbeigewunken - er sollte den „Unterhändler“ spielen. Im Fernsehen können wir mitverfolgen, wie der Fotograf aus dem Bus kommt, er sagt die Forderungen der Bankräuber erst der Tele-Nation, dann erinnert er sich an seinen Auftrag und fragt nach einem Kripomann.
Als die Bankräuber einen cleanen neuen Fluchtwagen fordern, bietet der Journalist seinen an.
Die Polizei fragt ihn, ob er doch an der Stoßstange einen Haftpieper anbringen kann - er lehnt ab, weil er das vertrauen der Gangster auf keinen Fall hintergehen will: „Dann riskiere ich mein Leben.“ Im gekaperten Bus dürfen die Fotografen festhalten, wie die Bankräuber mal einem Kind, mal einer Frau die Pistole an die Schläfe oder unter das Kinn halten. Sie sind immer dicht dabei, bestens informiert
-und geben die neuesten Einzelheiten alle paar Minuten über die elektronischen Medien weiter.
Die Polizei hatte einige Straßen weiträumig abgesperrt, über andere Straßen kann aber jeder noch nahe rankommen. Keiner wird weggeschickt - als wollte die Polizeistrategie das Hin und Her der Journalisten und Schaulustigen zur Verwirrung der Bankräuber ausnutzen. Auch als ein Buten&Binnen-Reporter anfragt, ob der Bankräuber Rössner zum Interview herauskommen könne, schaut die Polizei diskret zu. Der Bankräuber erklärt der Fernseh-Nation, daß er im Erziehungsheim aufgewachsen sei, 11 Jahre im Knast gesessen habe und daß der Kumpel „brandgefährlich“ sei: „Ich scheiß auf mein Leben.“ Und die Bankräuber kritisieren vor der laufenden Kamera die Po
lizeistrategie: „Und wir waren heute bereit gewesen, beide (Geiseln, d. Red.) wegfahren zu lassen. .. und da haben die uns dauernd verfolgt, und da konnten wir zu unserer Sicherheit eben nicht das Risiko eingehen, die laufen zu lassen. (...) Wir waren uns also ziemlich sicher, daß uns keiner verfolgt, und da haben wir sie doch gesehen.“
Journalisten bemühen sich um Verhandlungen. Als der Bus schließlich doch mit seinen 30 Geiseln wegfährt, folgen die ersten Journalisten-Autos in 20, 30 Meter Entfernung. Auch jetzt sperrt die Polizei die Straßen nicht, läßt die Schaulustigen in Kolonnen hinterherfahren.
Als auf der Raststätte Grundbergsee der 15jährige Junge erschossen wird, saßen Journalisten daneben. Daß sie nicht weiter mitfahren, lag an den Nerven des Todesschützen Degowski: Er hielt das Röcheln des schwerverletzten Jungen nicht aus und forderte die Journalisten auf, ihn hinauszuschaffen. Der Bus fuhr um 23.14 Uhr ab. Im „chronologischen Ablaufbericht“ der über Strecken ahnungslosen Polizei steht: „23.22 Uhr - Eine Person wird mit einer Kopfwunde auf der Autobahnraststätte gefunden.“
K.W.
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