: Warum der 15jährige sterben mußte
■ Fotograf Peter Meyer, „Unterhändler“ zwischen Bankräubern und Polizei in Bremen, erhebt schwere Vorwürfe gegen Einsatz-Strategie / Festnahme der Komplizin von der Funkzentrale angeordnet / Vgl. Tagesthema S. 3
Der Bremer Fotojournalist Peter Meyer ist regelrecht aufgebracht: „Hätten die das nicht gemacht, wäre der vielleicht noch am Leben.“
„Die“, das sind Polizeibeamte, die die Komplizin und Freundin der beiden Bankräuber auf der Toilette der Raststätte Grundbergsee überwältigten - obwohl sich die 30 Geiseln im Bus in der Gewalt der Bankräuber befanden. „Er“, das ist der 15jährige italienische Junge, der im Bus erschossen wurde. Ob sich Polizeistrategen bei ihrer Handlungsweise etwas gedacht haben, das werden wahrscheinlich auch die Eltern des Jungen vergeblich fragen.
Als die beiden Bankräuber im Bus gemerkt hatten, daß ihre Komplizin nicht zurückkam, setzte Bankräuber Dieter Degowski einer Frau seine Pistole an den Kopf, und Hans-Jürgen Rösner stellte ein Ultimatum: Binnen 5 Minuten sollte die Komplizin freigelassen werden.
Die Polizeibeamten, denen der als „Unterhändler“ fungierende Fotograf Peter Meyer dieses Ultimatum übermittelte, reagierten gelassen, berichtet er: Er habe die Antwort zurückbringen müssen, daß die Frau schon kommen werde. Mindestens 20 Minuten vergingen, die beiden Bankräuber wurden sichtlich nervös, dann richtete Degowski seine Waffe auf den Kopf des 15jährigen Jungen, der im Bus eine Bank hinter
ihm saß - und drückte ab. Kaum eine halbe Minute später, so erinnert sich der Bremer Fotojournalist, stand die Komplizin in der Tür des Busses. Die Festnahme war nur provozierend, die Polizei trifft eine „Teilschuld“ am Tod des Jungen, sagt Meyer.
Eine völlig ungeplante Festnahme, suchte gestern der Bremer Polizei-Leiter Möller den polizeitaktischen Fehler zu entschuldigen: Die Frau habe plötzlich mit gezogener Waffe vor den beiden Zivil-Beamten gestanden. Nach dem Ultimatum sei sie „unverzüglich freigelassen“ worden. Beides ist eine faustdicke Lüge, wie der Originalton des Polizeifunkes beweist. Da fragte ein Zivil-Beamter, der vor den Toilet
ten auf dem Rastplatz Grundbergsee postiert war: „Die eine Täterin ist jetzt auf WC mit Waffe, soll ich die abfischen?“ Die Antwort: „Ja, wenns eben geht.“ Der Beamte hat nicht richtig verstanden, fragt nach. „Ja“ kommt klar und deutlich die Anweisung der Zentrale. Mehrfach wird über Polizeifunk nach erfolgter Festnahme nachgefragt, was nun passieren soll mit der Frau. Lange kam keine Antwort.
Schon bei der Observation des Fluchtwagens in Bremen am Mittwoch nachmittag sind die Beamten fahrlässig plump vorgegangen. Nach eigenen Angaben hatten die Bankräuber gehofft und zeitweise auch geglaubt, die Polizei hätte sie aus den Augen verloren. Die Bankräuber waren knapp davor, die zwei Gladbecker Geiseln freizulassen, um allein weiterzufliehen, als sie sich in Huk kelriede wieder von Fahndern umkreist sahen - deswegen nahmen sie mit dem Bus eine größere Anzahl von Geiseln.
Auch daß die 30 Geiseln im Bus dann die nächtliche Odyssee bis Holland muitmachen mußten, ist für den Fotojournalisten Peter Meyer auf das ungeschickte Taktieren der Polizei zurückzuführen. Meyer pendelte zwischen 19.20 Uhr und 22 Uhr zwischen Bus und Straßenecke nahe der Haltestelle in Huckelriede, an der seine polizeilichen Ansprechpartner standen - keine verant
wortlichen Vertreter des Einsatz-Stabes standen dort allerdings, sondern einfache Beamte, die nicht mehr tun konnten, als seine Botschaften per Funk weiterzuleiten. Um effektiver verhandeln zu können, übergab der Unterhändler den Bankräubern ein Funk-Gerät der Polizei - es funktionierte nicht. Dann bot er sein Autotelefon an, fuhr seinen Wagen an die Bustür, wählte die Nummer, die ihm die Polizei ge
geben hatte und wollte das Sprechgerät in die Bustür hineinreichen - niemand nahm ab, die Telefonnummer war falsch, „aus Versehen“, erklärte die Polizei.
Der Fotojournalist und „Unterhändler“ Peter Meyer: „Die mußten sich völlig verarscht vorkommen. Man kann froh sein, daß sie in dieser Situation nicht geschossen haben, sondern nur mit den 30 Geiseln wegfuhren.“
K.W.
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