S C H W Ä N Z E U N D H Ä L S E H I M M E L W Ä R T S

■ Vilma Noels Skulpturen bei Loretta im Garten

Schnipp-schnapp: Bei Loretta im Garten weiß man die Ehrengäste zu ehren. Schnipp-schnapp: An jeder Skulptur überreicht die brasilianische Bildhauerin Vilma Noel einem anderen Gast die Schere, um „schnipp“ das rot-weiße Absperrband zu durchschneiden und so offiziell die Kunst dem Publikum zu übergeben, und um „schnapp“ für den Fotografen zu posieren: lachende Künstlerin mit Blumen links, Skulptur in der Mitte, schneidender Gast rechts. Applaus. Und leise tönt's danach wieder aus dem Hintergrund: So ein Tag, so wunderschön wie heute. Trink, trink, Brüderlein, trink.

Hendrik Terhedebrügge, Geschäftsführer von Loretta, überkam, bezaubert von der Schönheit der Noelschen Skulpturen, die er in Rio kennenlernte, ein dringendes Beglückerbedürnis. Kritisch erkannte er: Schönheit dürfe nicht nur den privilegierten Schichten der Museumsbesucher zugänglich sein. „Daher gehört Vilma Noels Kunst geradezu an einen Ort, dessen Aufgabe es ist, die Menschen zu erfreuen und ein wenig glücklicher zu machen, in Lorettas Garten.“

Mit Unterstützung des Architekten Abbas Roneh ist nun aus der spitzbrüstigen Gymnastikerin „India“, die sich da mit gespanntem Bogen so elastisch biegt, eine Quellnymphe im Brunnen geworden. Wasser sprudelt auch aus dem Hals des „weiblichen Torsos“. (Die makabre, aber prompte Assoziation an Blut, das einer Geköpften aus dem Hals schießt, muß den Künstlern im Eifer entgangen sein.) In „Etre III“ kranicht der Stein gewaltig und strebt himmelwärts; elegant verschränken die „Birds“ ihre Hälse zum Ornament; stolz reckt der Schwan seine Schwanzfedern. Überdehnt, gedrechselt, geziert und geschmäcklerisch: bei diesem Manierismus von „unterschwelliger Sexualität“ zu reden, wie ein Münchner Kunstkritiker im Katalog, ist gelinde untertrieben. Diesem Fetischisten-Kitsch, der sein Thema immer knapp vorbei an Leda mit dem Schwan zwischen ihren Schenkeln artikuliert, wird mystische Tiefe unterlegt: „Der in der Natur und im Universum kontinuierliche Akt der Zeugung ist für sie der wichtigste schöpferische, emotionelle und spirituelle Moment im Leben eines Menschen Einheit von Energie, Gedanken und Gefühlen eines Wesens mit der Urkraft des Universums.“ Da hat man nur versäumt, auch gleich das Riesenrad im Loretta-Garten als ewiges Gleichnis des Kosmos und des Lebens auszuweisen. Von anderen öffentlichen Skulpturen Geschockte finden hier weiterhin ihren Hafen der Entspannung: Noel wird dem Bierkonsum nichts anhaben.

Man denkt nicht kleinlich bei Loretta: Die besondere Zement -Marmorstaub-Mischung des Materials soll die nächsten 400 Jahre halten.

kbm

Vilma Noel „Liebe und Natur“, Loretta im Garten, Lietzenburgerstr.89, tägl. bis zum 13.August 2388