: Wachstumsgeschenk für die Kohl-Regierung
BRD-Ökonomie auf Wachstumskurs / Impulse der Weltwirtschaft verleihen neuen Schwung ■ Von Kurt Zausel
Berlin (taz) - Die Wirtschaftsauguren müssen ihre Prognosen korrigieren, und ausgerechnet Schöngeist Martin Bangemann darf sich die Hände reiben: Seine ständig verkündeten konjunkturellen Schönwetterparolen scheinen sich zu bewahrheiten. Im zweiten Quartal 1988 ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im Vergleich zur Vorjahresperiode um real etwa drei Prozent angestiegen. Staatssekretär Otto Schlecht vom Bundeswirtschaftsministerium hat diese Zahlen bereits zum Anlaß genommen, die Konjunkturpessimisten der Blamage zu bezichtigen.
Profitiert hat die westdeutsche Ökonomie wieder einmal vom Wachstumssog der Weltwirtschaft. Der Handelsbilanzsaldo wird von dem in Berlin ansässigen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung auf etwa 55Milliarden DM geschätzt. Im Vergleich zum Vorjahr haben die realen Exporte dabei um 5,5 Prozent zugenommen. Diese Entwicklung ist um so überraschender als aufgrund des niedrigen Dollarkurses in den ersten Monaten diesen Jahres allgemein ein Rückgang der Nachfrage nach bundesdeutschen Produkten erwartet worden war. Nach wie vor scheint der einheimischen Industrie ihr besonderes Spezialisierungsprofil zugutezukommen. Wächst nämlich in den anderen OECD-Ländern die Wirtschaft rasch, dann geht damit in aller regel eine beschleunigte Nachfrage nach kapazitätssteigernden oder rationalisierungsbefördernden Investitionsgütern einher, die von der bundesdeutschen Industrie auf den internationalen Märkten angeboten werden. Seit darüber hinaus die D-Mark gegenüber dem US-Dollar wieder etwas abgewertet wurde, sind die Auftragseingänge aus dem Ausland sogar noch weiter angestiegen. Anders sieht die Situation beim inländischen privaten Konsum aus. Zwar sind auch hier die Ausgaben trotz stagnierender verfügbarer Einkommen leicht gestiegen. Berücksichtigt man aber die ansteigenden Lebenshaltungskosten, dann ist der private Konsum in realer Rechnung sogar abgesunken. Möglich war die nominale Ausweitung des privaten Konsums wallein durch eine Reduzierung der Sparquote. Nahezu kompensiert wurde dieser Wachstumsausfall durch den Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen, der ein größeres Vertrauen der Unternehmen in den konjunkturellen Prozeß widerspiegeln könnte.
Völlig unberührt vom Wachstumsprozeß zeigte sich wieder einmal der Arbeitsmarkt. Zwar stieg die Zahl der Beschäftigten im Berichtszeitraum um etwa 30.000 an. Gleichzeitig nahm aber auch die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen im Quartalsdurchschnitt um fast 40.000 zu und bewegte sich damit auf dem Niveau vom Frühjahr 1986. Die Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung hält also munter an. Für eine Wirtschaftspolitik, die eine Lösung des Beschäftigungsproblems längst abgeschrieben hat und auf die gesellschaftliche Akzeptanz diese Dauerskandals vertraut, ist dies kein Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen