: Zwischen Maya und Moderne
■ Mexiko jenseits der „großen Nachrichten“
Am Strand von Acapulco betreibt der 26jährige Fernando sein florierendes Geschäft als Surfbrettvermieter und Gelegenheitsdealer. In den Cafes von Veracruz wartet eine alleinstehende Mutter von drei Kindern, die 23jährige Monica, auf Kunden für 20 Dollar die Nacht. Am Rand der längsten Straße der Welt, der Avenida Insurgentes, im Süden des Molochs Mexiko-City, putzt der 65jährige Alfonso Schuhe, seit er sein rechtes Bein bei einem Unfall verloren hat. In dem Örtchen Zipolite am Pazifik träumt der 40jährige Kalifonier Stephen seit 22 Jahren hartnäckig von der Flower -Power. Irgendwie schafften sie es, sich im krisengeschüttelten Mexiko durchzuschlagen.
Der deutsche Journalist und ARD-Hörfunk-Korrespondent Jörg Hafkemeyer hat sie aufgespürt und ein Buch mit vielen kleinen, überhaupt nicht spektakulären Geschichten geschrieben. Es lebt von den Gegensätzen des Landes: Eine namenlose Indianerin, die nicht einmal Spanisch versteht, verkauft auf dem Mittelstreifen einer Schnellstraße in Mexiko-City selbstgemachte Stoffpüppchen, ihre Kinder betteln die Autofahrer an der Ampel an. Ein paar Seiten weiter zeigt das Beispiel der Gouverneurin Beatriz Paredes Rangel, daß gelegentlich auch eine Frau in dem machistischen Land politische Karriere machen kann - vorausgesetzt, sie hat das richtige Parteibuch.
Gerade Alltagsbegegnungen und Atmosphärisches, die bei den „großen Nachrichten“ der Rundfunkanstalten viel zu kurz kommen, stehen im Mittelpunkt. Dennoch lebt das Buch von nachrichtlicher Aktualität. Die Ereignisse der letzten zwei Jahre (seit der Autor in Mexiko lebt) werden breit behandelt: Erdbeben, Industriekatastrophen, Korruption, Umweltverschmutzung, Drogenhandel (sehr spannend).
Vielleicht ist manches zu flott heruntergeschrieben und deshalb gingen die wenigen Zahlen durcheinander - mal hat Mexiko-City 18, mal 20 Millionen Einwohner, mal verdrecken 120.000, mal 160.000 Industriebetriebe das Hochtal, mal verstopfen drei, mal vier Millionen Autos die Straßen der Hauptstadt. Stutzig macht auch, daß viele Ortsnamen und typisch mexikanische Phänomene falsch geschrieben sind.
Viele „Namen“ aus der Schickeria und Intellektuellenszene von Mexiko-City kommen vor, andere fehlen. Das Ganze ist halt - der Autor hat es wohlweislich geschrieben - ein sehr persönlicher Bericht: Mexiko im Schlepptau von Jörg Hafkemeyer - Biertrinken mit seinen Kumpels, Urlaub machen an seinen Lieblingsstränden... Dabei wandelt er auf den Spuren vieler deutschsprachiger Ausländer. Die treffen sich irgendwann alle im Cafe El Parnasso oder in der Alternativ -Pension von Puerto Angel.
Wer Mexiko aus eigener Erfahrung kennt, wird viele Deja-vu -Erlebnisse haben, längst vergessene Anekdoten auffrischen und alte Bekannte wiederfinden. Hafkemeyer bringt das aufs Papier, was wißbegierige Ausländer dort bald in Erfahrung bringen. Für Touristen bietet das Buch viele Interna über das Familienleben, Beziehungen und Klatsch und Tratsch, die nicht im Schnelldurchgang zu erfahren sind. Auch als Reisebegleiter ist das kurzweilig geschriebene Buch geeignet. Nur ist es leider etwas schwer und unhandlich für den Rucksack.
Was fehlt, sind ein paar analytische Blicke hinter die Kulissen des vielgenannten Elends. Das ganze Thema der Außenverschuldung wird nur kurz erwähnt.
Clara Coq
Jörg Hafkemeyer: „Mexiko zwischen Maya und Moderne“, Westermann Verlag Braunschweig 1988, 231 Seiten, DM 29,80.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen