Neulich in der Texas-Klinik

■ Heute, ARD, 20.15 Uhr

Der Doktor sah den Spiegel und bleckte die Zähne. Makelloses Weiß erstrahlte und stach in seine Augen. Mit spitzem Griff applizierte er noch ein wenig Gel ins schüttere Haupthaar und zog den Scheitel noch einmal nach. Je ein weiterer Zentimeter der formgebenden Creme landete auf seinen Augenbrauen, die der eitle Mediziner mit einer energischen Bewegung stirnwärts ausrichtete. Der narzißtische Geck trat zwei Schritte zurück, wandte das augurenlächelnde Haupt neckisch mal nach rechts, mal nach links, und war's zufrieden. Ein guter Tropfen Rasierwasser noch unters Kinn, und die Morgentoilette war beendet. Selbstverliebt nahm er seinen Designer-Arztkittel, schlängelte seinen durchtrainierten, solariumsgegrillten Körper hinein und krempelte die Ärmel derart um, daß das karogemusterte Seidenfutter sichtbar wurde, wie es die Mode befahl. Die Rolex verschloß er im Safe, und nach einem letzten prüfenden Blick ins Spieglein an der Wand war er bereit, den Herausforderungen des Tages, die hinter der geräuschgedämpften Tür auf ihn lauerten, furchtlos ins Antlitz zu blicken.

„Guten Morgen, Dr. Wexler.“

„Guten Morgen, Schwester Christa. Was haben wir denn heute auf dem Tisch?“ fragte Wexler, während er seine manikürten Finger desinfizierte. „Eine Appendizitis.“ Das strahlende Lächeln gefror dem Arzt unter der Nase und entgleiste. Selbst mit verkanteten Mundwinkeln war er immer noch der Traum aller Lärmschwestern. „Nur ein Blinddarm?“ Mühsam krochen die Worte über seine Lippen. Verächtlich schüttelte der mediokre Mediziner das Desinfektizid von seinen samtweichen Händen und hielt sie mit einer gespreizten Bewegung Schwester Christa unter das sommergesproßte Näschen, das erst leis erzitterte - und dann einmal sehr feucht losnieste. Sie war gegen diese Scheißchemie allergisch. Rasch streifte sie Herrn Doktor die Gummihandschuhe über. Nachdem die mißmutig geschürzten Lippen des tapferen Chirurgen hinter dem weißen Nessel des Mundschutzes verschwunden waren, betraten beide den Operationssaal.

Wie Dr. Sauerbruch fühlte sich Hal Wexler oder wie ein Doc des Wilden Westens, wenn er diese Schwingtüren mit ihren dickverglasten Bullaugen durchschritt und hineintrat ins gleißende Licht des OPs. Es war immer wieder ein erhebendes Gefühl, erstmals des Patienten ansichtig zu werden, dessen Leben es gleich in einer vermutlich dramatisch verlaufenden Operation dem Tode zu entreißen gelten würde. Würde? Werde? Egal, er konnte sich jetzt nicht auf grammatikalische Fragen konzentrieren. Er hatte zu arbeiten...

Die Stimme des Anästhesisten riß ihn aus seinen Träumen. 'Ein Appendix‘, dachte er noch. 'Eine Übung für Medizinstudenten im zweiten Lehrjahr.‘

Mit sicherer Hand führte der Mediziner das Skalpell. Bewundernd ruhten die Augen der OP-Schwester auf dem schmalen Schlitz zwischen Mundschutz und Käppchen: 'Unglaublich, wie stilvoll der Herr Doktor heute wieder seine Augenbrauen frisiert hat...‘ Ein böser Blick des Assistenzarztes erinnerte sie an ihre Pflichten. Und an das Blut, das aus der offenen Wunde strömte. „Tupfer, verdammt nochmal“, blökte der Chirurg. „Schlafen können Sie später.“ Mit geschickten Fingern faßte er in den schmalen, vom Blut gereinigten Schlitz. Und fand - nichts. „Bitte noch einmal das Skalpell. Liegt besonders tief, der Wurm.“ Ein zweifelnder Blick entkam den Augen des Assistenzarztes, schnell reichte Schwester Christa die Wundhaken. Tief krallten sie sich in die klaffende Wunde, unterstützt von den zentimeterlangen, blutrot lackierten Fingernägeln der OP -Schwester. Dr. Wexler machte noch einige tiefe Schnitte, aber da war nichts, was auch nur entfernt einem Blinddarm ähnelte, sowie er ihn aus dem Lehrbuch „Chirurgie leichtgemacht, Band I“ in Erinnerung hatte. Schweißperlen traten auf seine Stirn und wurden von der fürsorglichen Schwester Christa sorgsam abgetupft. „Wo steckt nur der Blindgänger“, fluchte Wexler. Nervös blickte er auf die Uhr über dem Eingang. Solange hatte er noch nie gebraucht für eine Operation. Außerdem war er in einer Viertelstunde mit Stationsschwester Irmgard verabredet. Da traf das Skalpell auf etwas Hartes. 'Ein Knochen‘, wunderte sich der Wunderdoktor, dachte aber weiter nichts dabei und erbat Hammer, Meißel und Knochensäge. Mit geübten Griffen und der Verve eines kanadischen Holzfällers spaltete er diesen seltsam runden Knochen, trieb kleine silberne Keile in die aufgestemmte Lücke und schlängelte seine behenden Fingerchen hindurch. 'Tief liegt er, der Hund‘, fluchte er vor sich hin. Dann bekam er etwas zu fassen. Da lag der Übeltäter, der krankhaft entzündete Appendix. Er zog, er drehte, er wand und knickte und zerrte und riß. Beherzt griff er zu, setzte die Solinger Spezialklinge an und - schwupp - hielt er den Wurmfortsatz zwischen spitzen Fingern und warf ihn mit elegantem Schwung in den Müllschlucker.

„Hatte sich ja gut versteckt, das kleine Wurm“, scherzte Dr. Wexler, und die Anwesenden hielten es für ihre Pflicht, laut und vernehmlich zu lachen. Der gespaltene Knochen wurde vertäut und verdrahtet. Noch einmal blickte der Doc auf die große OP-Uhr.

„Schwester Christa!“

„Herr Doktor?“

„Hatten Sie auf der Schwesternschule auch Handarbeit?“

„Aber sicher, Herr Doktor“.

„Darf ich fragen, mit welcher Note Sie in diesem Fach abgeschlossen haben?“ erkundigte sich der Arzt mit einer Barschheit, die von der OP-Schwester für sacht verhohlene Zuneigung gehalten wurde. Bezaubernde Jungmädchenröte stieg in ihr Gesicht. „Mit einer Zwei, Herr Doktor.“ „Das ist ja sehr gut, Schwester Christa“, lobte er. „Dann nehmen Sie bitte jetzt Nadel und Faden und nähen Sie diesen Bauchlappen hier zu. Ich habe noch eine wichtige Operation vor mir und kann mich nicht länger mit Bagatellen aufhalten.“ „Jawohl, Herr Doktor.“ Ihr Gesicht dunkelte nochmal nach. Doch noch ehe der Faden in die Nadel gefunden hatte, war Dr.Wexler bereits bei Schwester Irmgard und schob mit ihr einen Patienten in ein anderes Zimmer.

Schwester Christa aber machte ihre Sache gut. Tatsächlich gab es keinerlei Beanstandung, was den tadellos ausgeführten Kreuzstich betraf, mit dem sie die frische Wunde verschlossen hatte. Dennoch hatte der kleine Eingriff ein unangenehmes Nachspiel. Der Patient und besonders sein Anwalt waren nämlich der Ansicht, daß es verantwortungslos und dilettantisch, ja geradezu fahrlässig sei, einen Blinddarm von der Arsch-Seite her zu entfernen. Keiner glaubte den Beteuerungen des Personals, das nicht bemerkt haben wollte, wie sich der Patient bei schwindendem Bewußtsein auf der Bahre gedreht hatte. Wie sich Schwester Christa mannhaft zwischen ihren geliebten Chef und den Vorwurf der Kunstfehlerei wirft, eine Intrige des eifersüchtigen Assistenzarztes aufdeckt und Dr. Wexler voll rehabilitiert, das alles und noch viel mehr sehen Sie in der heutigen Folge der beliebten „Texas-Klinik“.

Harald Keller