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Die Wissenschaft vom Laufen

■ Bremens Stadtmarathon bekommt ein ganz einzigartiges Begleitprogramm: 100 Wissenschaftler aus 6 Ländern auf 1 Symposium zum Thema „Dauerlaufen“

Nein, die Hausnummer des sicherlich ganz hervorragenden Hotels, in dem die Pressekonferenz zum Marathon-Symposium stattfinden soll, weiß man im Bremer Landessportbund-(LSB) -Büro auch nicht. „Da schlafen die Marathonis immer“, weiß man aber. „Wann haben wir denn die

Pressekonferenz?“ fragt die freundliche Stimme im Telefon noch. „Heute“, sag ich hilfsbereit. „Ach“, sagt sie, „na, wenn ich da nichts von weiß, ist bestimmt unser Präsident da.“

Der Präsident ist da und restlos begeistert. „Ich bin ein richtiger Bremer“, sagt er, „also sehr zurückhaltend, aber das hier ist für Europa, für die Welt einzigartig.“ Oben drauf packt Hans-Helmut Claußen, braungebrannter 800-Meter -Läufer und LSB-Präsident mit Brile und Anzug, noch eine „fundamentale Leistung“, das ganz „eigene Gesicht“ und ein „erstklassiges wissenschaftliches Feld“.

Was Herrn Claußen in so wohlgesetzte Begeisterung versetzt, ist ein wissenschaftliches Symposium als Begleitprogramm zum Bremer Stadtmarathon, eine scheinbar restlos harmonische Zusammenarbeit mit der Bremer Uni (dem „sehr rührigen“ Prof. Hans-Jürgen Schulke), dem Deutschen Leichtathletikverband, der Landesregierung und dem Sportärztebund und von der VW -Stiftung umfassend basisfinanziert. Drei Tage (9.-11.9.) mit dem einigermaßen verschnarchten Titel „Belastung und Erholung beim Dauerlauf“. 80-100 Teilnehmer aus 60 Län

dern zwecks wissenschaftlicher Absicherung der deutschen Laufbewegung. „Ausgewiesen großartige Wissenschaftler“ vortragen öffentlich und in der Stadthalle zum Thema und fördern so bestimmt „stabile Motivation für gesundheitsorientiertes Ausdauersporttreiben“.

Dr. Wolf Rieh, geschäftsführender Vorsitzender des 1948 gegründeten Bremer Sportärztebundes, ist auch ganz voll des Lobes. „Kommunale Prävention“ sei schließlich Alltagsarbeit der ordentlich in negative Schlagzeilen geratenen Sportmedizin. Herz-Kreislauf-Erkrankungen ließen sich ganz prächtig vermeiden, wenn erst alle Welt ausdauersportet und „vernünftig lebt“.

Das nun ist so ganz neu nicht. Haben wir alle schon gehört und auch die lustigen Rotköpfe, die grüppchenweise durch den Bürgerpark hecheln: pffffftpfffffft auf dem Weg zu dann internistisch und orthopädisch zu behandelnder Überbelastung. So haben sich die Krankenkassen die kostensparende Fitnesswelle eigentlich nicht vorgestellt. „Alles eine Frage der Dosierung“, sagt Dr. Rieh.

So dient denn auch das Symposium dem volksgesundheitschönen Ziel, Ausdauersport „risiko

los zu machen“, sagt Herr Claußen. Zu diesem Zweck findet es sehr passend direkt zum großen Stadt-Marathon statt. „Der lag ja schon in den letzten Zügen“, sagt Claußen. „Andere Städte lassen sich einfach Leute kommen und laufen - gegen Geld.“ Bremen aber ist sozialdemokratisch und macht kurzerhand aus schnöder Kommerzveranstaltung ein „Volksfest“, ein „Familientreffen“, ein Marathon mit dem eben „ganz eigenen Gesicht“.

Dafür bekommt der Stadtmarathon („weltweit einzigartig“) ein wissenschaftliches Begleitprogramm: kluge Vorträge, ein richtig leckeres Sportkostbuffet und „öffentliche Sportarzt -Sprechstunden“ in der Stadthalle. Für Fragen vom rechten Schuh bis zum schlechten Blutdruck.

Teilnehmer des Symposiums beweisen ihre Praxis -und Basis -Verbundenheit durch Teilnahme am „Märchenhaft-durch-Stadt -und-Land„-Marathon, 42 „zentimeter- genau vermessene“ Kilometer quer durch Bremen. Der Kongress läuft.

Wer noch mitrennen will oder sonstwas wissen möchte: Tel. 701883. Dann spricht man mit Fachkräften des LSB. Die sind bestimmt ganz umfassend informiert.

Petra Höfer

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