: Mexikos Militär stoppt Abgeordnete
Auseinandersetzung um das Wahlresultat dauert an / Opposition fordert bisher vergeblich Prüfung der Wahlunterlagen / Bevölkerung feiert unterlegenen Kandidaten Cardenas / PRI schwer angeschlagen ■ Aus Mexiko-Stadt Reimar Paul
In Mexiko hat die Auseinandersetzung zwischen der seit 60 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) und der Opposition am Wochenende zum erstenmal auch die Militärs auf den Plan gerufen. Seit Wochen fechten die vom PRI-Dissidenten Cuauhtemoc Cardenas angeführte Linkspartei FDN und die konservative PAN das offizielle Wahlresultat an, wonach die PRI am 6.Juli 50,3 Prozent der Stimmen erhalten hat. Am Samstag nun versperrten drei Züge des mexikanischen Heeres mehreren Dutzend Abgeordneten den Zugang zu den Büros, in denen die Wahlunterlagen unter Verschluß gehalten werden. Die Opposition fordert, bislang vergeblich, die Sichtung der Wahlzettel aus 25.000 von insgesamt 55.000 Wahllokalen. Am Wahltag hatten ausschließlich Vertreter der PRI Zugang zu den Wahllokalen. Nach offiziellen Angaben konnten die Kandidaten der Regierungspartei erdrutschähnliche Triumphe verzeichnen. Angeblich fielen ihnen bis zu 100 Prozent der abgegebenen Stimmen zu. Die Opposition anerkennt den PRI -Sieg nicht und mobilisiert seit Wochen gegen den „technischen Staatsstreich“ (Cardenas). Massendemonstrationen, Straßensperren, blockierte Grenzübergänge, besetzte Rathäuser gehören seither zum mexikanischen Alltag. Auf seiner Nach-Wahl-Reise durch die Provinz wird der FDN-Präsidentschaftskandidat Cardenas überall enthusiastisch empfangen. Selbst in den abgelegegensten Dörfern strömen die Leute zusammen, um den „vom Volk gewählten Präsidenten“ zu bejubeln. Und immer wieder kocht die Volksseele über. In einer Kleinstadt im Bundesstaat Michoacan setzten erboste Campesinos das Rathaus, eine Bank und andere öffentliche Gebäude in Brand, nachdem die Gemeindeverwaltung einer Saalveranstaltung der FDN den Strom abgedreht hatte.
Nach wochenlanger Sprachlosigkeit, während der sich selbst der offiziell gewählte Präsident Salinas de Gortari kein einziges Mal öffentlich zu Wort meldete, hat nun auch die PRI ihre Aktionsfähigkeit wiedergefunden. Landesweit ruft sie zu „Volksfesten des nationalen Sieges“ auf. Doch kann die PRI nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie selbst aus den Wahlen schwer angeschlagen hervorgegangen ist. Im Bundesstaat Tabasco ist die Regierungspartei faktisch gespalten. Der frühere Parteichef wird bei den Gouverneurswahlen im November für die oppositionelle FDN kandidieren. Mitten in der Krise hat nun die PRI auch noch ihren Generalsekretär gewechselt. Camacho Solis, bislang Umweltminister und jetzt neuer Parteichef, gilt als Hardliner. Bei seiner Amtseinführung prophezeite er: „Die derzeitigen Konfrontationen könnten sich weiter steigern.“
Am Sonntagmorgen wurden im Zentrum von Mexiko-Stadt in einem Auto die Leichen von vier jungen Männern aufgefunden. Zwei von ihnen wurden bereits als Aktivisten linker Parteien identifiziert. Die Polizei, die anfänglich von Raubmord sprach, will nun immerhin „mögliche politische Zusammenhänge“ untersuchen. Bei Attentaten und Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Regierungspartei und Symathisanten der Opposition sind seit den Wahlen vom 6. Juli landesweit mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen.
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