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Harte Linie gegen Wiener HausbesetzerInnen

■ Nach und nach werden Einzelheiten über die Räumung von zwei Häusern vor elf Tagen bekannt / Brutale Polizeieinsätze und Spießrutenlaufen / Größte Massenverhaftung in der Alpenrepublik / Anwalt bezeichnet Vorgehen der Justiz als Skandal

Wien/Berlin (taz) - Mit Gewalt und Prügel reagierte die Wiener Polizei auf die friedliche Übergabe zweier besetzter Häuser in Wien-Mariahilf. Wie sich jetzt in Wien herausstellte, wurden 51 BesetzerInnen durch einen Spießrutenlauf gehetzt. Dabei erlitten alle Verletzungen. Dies berichtete gestern der Wiener Anwalt Thomas Prader gegenüber der taz.

Die BesetzerInnen befinden sich heute immer noch in Haft. Dabei war von vornherein klar, daß sie nicht zu denen gehörten, die am Vortag der Räumung der Polizei Widerstand geleistet hatten. Dadurch waren ein erster Räumungsversuch vereitelt und neun Polizisten verletzt worden. Diejenigen, die die Auseinandersetzungen ausgelöst hatten, haben bei Nacht das besetzte Haus in der Ägidigasse vor den Augen der Polizei ungehindert verlassen. Damit werde klar, daß, so Anwalt Prader, die Haftbegründung für die einen Tag später festgenommenen 51 Personen - „Widerstand gegen die Staatsgewalt“, „schwere Körperverletzung“ und „Landfriedensbruch“ - von vornherein hinfällig gewesen sei.

Noch nie sind in Österreich soviele Personen auf einmal festgenommen worden. Tagelang verweigerte man den Anwälten die Besuchserlaubnis. Erst jetzt wurden sie vorgelassen und erfuhren die näheren Umstände der „Festnahme“: „Die BesetzerInnen hatten die weiße Fahne gehißt. Die Polizei trieb alle im zweiten Stock zusammen. Dann stellten sie sich im Spalier das ganze Stiegenhaus bis hinunter zum Erdgeschoß auf. Die BesetzerInnen mußten einzeln hinuntergehen. Dabei wurden sie mit den Schilden geschlagen, gestoßen und getreten. Die Polizisten stellten ihnen Beine und die, die hinfielen, haben am meisten abbekommen“, sagte Prader. Viele hätten Schädelprellungen und schwere Gehirnerschütterungen erlitten. Er kündigte an, eine Beschwerde beim österreichischen Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung von Artikel3 der europäischen Menschenrechtskonvention einzubringen. Dieser Artikel besagt, daß niemand Folter und unmenschlichen und erniedrigenden Handlungen unterzogen werden darf.

Erst eine Woche nach der Räumung der beiden Häuser, die sofort geschleift wurden, hatte sich ein Untersuchungsrichter gefunden, der den Fall übernehmen wollte. Er verweigerte zunächst nicht nur die Besuchserlaubnis sondern auch die Akteneinsicht. Die 51 Festgenommenen dürfen auch jetzt weder Briefe noch Bücher erhalten. Einer von ihnen, der türkische Staatsbürger Mustafa Akbasli, soll in die Türkei angeschoben werden. Dort erwartet ihn eine Haftstrafe wegen Wehrdienstverweigerung. Prader hat das Vorgehen der Justiz „als den eigentlichen Skandal“ bezeichnet. Am letzten Freitag hatten bereits rund 6OO Demonstranten in Wien die Freilassung der Inhaftierten und die Einstellung des Verfahrens gefordert.

Oliver Lehmann/kir

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