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Notarzt hätte Geisel retten können

15jähriger Italiener starb nicht durch Kugel, sondern verblutete / Bremens Innensenator gesteht schwere Fehler ein und will dennoch nicht zurücktreten / Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Schnoor schließt Rücktritt aus / Weiter Streit um Bayerns Geiselshow  ■  Von K.Wolschner / W.Jakobs

Bremen/Düsseldorf (taz) - Der 15jährige Emanuelle De Giorgi könnte möglicherweise noch leben, wenn die Bremer Polizei einen Notarztwagen bei der Verfolgung der Geiselnehmer von Gladbeck dabeigehabt hätte. Das mußte gestern Innensenator Bernd Meyer vor dem Bremer Landesparlament, der Bürgerschaft, zugeben. Der Obduktionsbefund eines Gehirnspezialisten hat ergeben, daß der junge Bremer italienischer Nationalität nicht - wie bisher behauptet unmittelbar durch einen Schuß der Geiselnehmer starb, sondern am hohen Blutverlust und durch das Einatmen von Blut. Nach Augenzeugenberichten hatte es fast 20 Minuten gedauert, bis ein Rettungswagen eintraf.

Trotz des eingestandenen „schweren Fehlers“ will der Bremer Innensenator nicht zurücktreten. Er habe darüber nachgedacht, diesen „leichteren Ausweg“ aber verworfen. Die Entscheidungen im Lagezentrum seien „nach bestem Wissen und Gewissen“ getroffen worden.

Die Oppositionsparteien forderten in der Parlamentssitzung dagegen den Rücktritt des Senators. Grünen-Sprecher Martin Thomas gab den Sondereinsatzkommandos eine Mitschuld am Tod des 15jährigen: statt in der entscheidenden Situation vor dem Schuß minutenlang einen „Zugriff“ auf die Geiselnehmer im Autobus zu erwägen und derweil deren Komplizin festzuhalten, hätte man sie sofort freilassen müssen. Im Interesse der Geiseln hätten Verhandlungen und Kommunikation im Vordergrund stehen müssen. Doch da habe es an der „Initiative besonnener und verantwortlicher Politiker gefehlt“. Auch die CDU forderte den Rücktritt des Innensenators - allerdings mit der entgegengesetzten Begründung: Die Polizei hätte früher eingreifen sollen.

Ebensowenig wie sein Bremer Kollege will der nordrhein -westfälische Innenminister Herbert Schnoor zurücktreten. Am Rande einer gemeinsamen Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß des Düsseldorfer Landtages antwortete er gestern auf die Frage eines Journalisten, ob er seinen Rücktritt ausschließe: „Ja, den schließe ich aus.“

Die nicht-öffentliche Ausschußsitzung dauerte bei Redaktionsschluß noch an. Minutiös, so berichteten teilnehmer, hätten die geladenen Polizeiführer eine Darstellung der Ereignisse gegeben. Bis zum späten Nachmittag hatte man lediglich das Geschehen in Gladbeck, der ersten Station der Geiselnahme, abgehandelt. Über den möglichen Einsatz der GSG 9 wurden die Abgeordneten von Hans Neusel, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, informiert. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Worms sagte unter Anspielung auf die Rücktrittsforderungen an Schnoor und die Nachinszenierung der Geiselnahme durch die bayerische Polizei: „Wir lassen uns auch nicht von anderen Ländern belehren, wie wir hier vorzugehen haben.“

Die SPD hat die Münchner Geisel-Show vom Dienstag zum Anlaß genommen, die CSU zur Entlassung von Innenminister Lang und seinem Staatssekretär Gauweiler aufzufordern. Die SPD -regierten Länder Hamburg und Saarland wollen den Vorgang vor die Innenministerkonferenz bringen. Siehe Tagesthema Seite 3

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