: Drushba-Picknick
■ SU-Journalist aus Wolgograd berichtet über lokale Zeitungsarbeit
Fern ab vom Konferenztisch der großen Politik lud die Evangelische Jugend Berlins am Mittwoch nachmittag eine sowjetische Jugendaustauschgruppe an die Lieper Bucht zum Picknick ein. Die rund 30 WolgograderInnen kamen in Begleitung der Sputnik-Jugendreiseleiterin Olga.
Die bis zu 30 Jahre alten, ausnahmslos überzeugten Kommunisten arbeiten in ihrer Heimatstadt als Ärzte, Manager, Ressortleiter und Jugendorganisatoren. Im Gespräch zeigten sich die meisten unpolitisch. „Gefallen“ habe die Architektur. „Schockiert“ waren sie über die Preise im KaDeWe. „Die Warmherzigkeit der Gastfamilien“ habe überzeugt.
Der stellvertretende Chefredakteur der Wolgograder Jugendzeitung 'Junger Lenin‘, Alexander, erzählte zufrieden, daß es seit kurzem ein Gesetz gebe, daß der Presse eine größere politische Einflußmöglichkeit gebe. Betriebe würden verpflichtet, falls etwas Negatives über sie geschrieben würde, den entsprechenden Mangel innerhalb eines Monats zu beheben oder sich zumindest zu rechtfertigen. Alexander könne heute Dinge schreiben, mit denen er noch vor zwei Jahren „erhebliche Schwierigkeiten“ bekommen hätte.
Er habe zum Beispiel öffentlich kritisiert, daß die Wohnungen eines neuerrichteten pompösen Gebäudes in Wolgograd für höhere Funktionäre reserviert worden seien. Als weitere Perestroika-Errungenschaft stellte der Kommunist eine in der Sowjetunion fast einmalige Begebenheit in seiner Zeitung dar: Alexander richtete dieses Jahr die erste „Wahl der Miss Wolgograd“ aus.
Der Schwerpunkt des Picknicks lag jedoch mehr auf der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Junge BerlinerInnen und WolgograderInnen schwammen zusammen, übten sich im Torwandschießen, spielten Frisbee und zogen mit aller Kraft mit- und gegeneinander am Tau.
Die Kommunikation funktionierte reibungslos, wenn sie auch nur aus Broken English und Zeichensprache bestand: „I am Sascha.“ „I am Miriam.“ „Do you want to be my friend?“ Alle jungen Leute aus Ost und West waren sich darin einig, daß der einwöchige Besuch neben vielen neuen völkerverbindenden Erkenntnissen vor allem eines bringen würde: „Liebeskummer“.
Christian Haase
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