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Die Flucht vor den Massakern der Tutsi-Armee

Augenzeugenberichte geflohener Hutus über die brutalen Massaker der Tutsi-Armee in Burundi / 42.000 Hutus flohen nach Ruanda / Zehntausende verschollen / In den Flüchtlingslagern fehlen Medikamente und Nahrung  ■  Aus Butare Jose-Alain Fralon

Der Flüchtlingsstrom der Burundier, die vor der blutigen Stammesfehde im Norden ihres Landes nach Ruanda flüchten, ist mittlerweile auf 42.000 Menschen angeschwollen. Die Lage in den Grenzorten Ruandas soll katastrophale Ausmaße angenommen haben, da es sowohl an Nahrungsmitteln wie auch an Medikamenten fehlt, um diese Menschen auch nur annähernd versorgen zu können. Unter den Burundiern, die völlig entkräftet über die Grenze ins Nachbarland kommen, sind zahlreiche Verletzte; auch werden noch immer täglich Dutzende Leichen aus dem Akanyaru-Grenzfluß geborgen. Zur Bergung und Beisetzung der Toten setzt Ruanda Strafgefangene ein. Inzwischen treffen die ersten Hilfslieferungen aus dem Ausland in Ruanda ein. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge sagte als erste Nothilfe 75.000 Dollar zu.

Wir dokumentieren Augenzeugenberichte aus der 'Le Monde‘ vom 25.August 1988.

„Am Mittwoch sind die Soldaten in unsere Dörfer gekommen. Ich war im Bananenhain und wurde verletzt. Sie haben die Kinder ins Haus geschickt und es dann angezündet. Da bin ich mit meiner Frau geflohen. Ich bin in der Nacht gelaufen. Tagsüber habe ich mich im Wald versteckt. Ich habe überall Soldaten gesehen. Ich habe gehört, wie sie sagten, 'Alle Hutus sind ausgelöscht worden.‘ Auch Hubschrauber waren unterwegs. Ich bin am Montag in Ruanda angekommen. Ich konnte nicht mehr gehen, meine Frau hat mich mitgezogen. Ich kehre nicht mehr nach Hause zurück, solange dieses Regime an der Macht ist. Ich habe Angst.“

Andre Ntalindi, 31 Jahre alt, liegt jetzt im Universitätskrankenhaus von Butare, wo er wegen eines gebrochenen Schlüsselbeins behandelt wird. Er ist einer von Zehntausenden von Flüchtlingen, die aus Burundi geflohen sind, um im benachbarten Ruanda Asyl zu suchen. Sein Augenzeugenbericht ist bedeutsam, da er aus Ntega stammt, der Gemeinde, in der die Probleme begonnen haben. Er gibt zu, daß es „Auseinandersetzungen“ zwischen Tutsis und Hutus gegeben habe, daß einige Tutsi-Funktionäre getötet wurden. Dann kam die Armee und beging ein systematisches Massaker. Alle Berichte der Verletzten stimmen dahingehend überein, daß die Repression blutig und blindwütig war.

Da ist dieser Säugling, anderthalb Monate alt, durch einen Faustschlag in den Bauch verletzt. Sein Vater hält ihn in seinen Armen. Auch er war gerade dabei, auf dem Feld zu arbeiten, als die Soldaten kamen: „Ich habe mich versteckt. Als ich nach Hause kam, war meine Frau tot, zwei meiner Kinder verletzt. Ich habe sie mitgenommen und bin geflohen. Ich weiß nicht, was aus meinen anderen fünf Kindern geworden ist.“ Ein anderes Kind, drei Jahre alt, wurde von Granatensplittern am Arm verletzt und betrachtet benommen seinen Verband.

Ein anderer Zeuge: „Ich habe mich auf der Toilette versteckt. In der Zeit haben sie meine vier Brüder getötet.“ Ein Bauer: „Die Soldaten haben gesagt, 'Greift an!‘, und dann haben sie alle getötet. Überall. Auch die Flugzeuge haben den Tod gebracht.“ Die Panik trägt dazu bei, daß alle möglichen Horrorgeschichten kursieren. „Anscheinend haben die Flugzeuge Napalm eingesetzt, jetzt kommen auch Leute mit Verbrennungen an“, sagt ein Arzt aus Ruanda. Die Regierung von Burundi hat den Einsatz von Napalm dagegen kategorisch dementiert.

Es kommen immer noch Flüchtlinge in Ruanda an. „Schüler, die schwimmen können, haben diese Nacht Leuten über den Fluß geholfen, sonst wären sie etrunken“, berichtet ein Lehrer. Regierungsangestellte sprechen von 5.000 Flüchtlingen pro Tag. Nach Angaben des Präfekten von Butare, Frederic Karagwa, gibt es derzeit 42.000 Flüchtlinge.

Wenn man davon ausgeht, daß in den beiden Gemeinden in Burundi, die Schauplatz der Ereignisse sind, 100.000 Menschen leben, wird die Zahl der „Verschollenen“ hier auf 60.000 geschätzt. Die meisten befragten Flüchtlinge sagen: „Es war niemand mehr im Dorf.“ Sind Zehntausende von Menschen Opfer der Auseinandersetzungen geworden?

Nicht alle Flüchtlinge, die in Sammelunterkünften leben, haben ein Zelt- oder Plastikdach über dem Kopf, das sie vor dem Regen schützt. „Uns fehlen Verbandsmaterialien und Antibiotika“, sagt Jean Gahungu, Arzt an der Universitätsklinik. Der Ausbruch von Seuchen droht. In den fünf Lagern entlang der Grenze gilt es auch, darauf zu achten, daß es nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Hutus und Tutsis kommt. Denn es gibt auch Tutsis, die vor den Auseinandersetzungen in der Region geflohen sind. In der Stadt Butare, die der Grenze am nächsten liegt, fangen die Einwohner an, sich zu beklagen. In den Geschäften gibt es keinen Reis mehr. Ein Treffen zwischen dem Präfekten und den burundischen Verantwortlichen der Grenzregionen wurde organisiert. „Wir versuchen, die Bevölkerung zu beruhigen“, sagten letztere.

Ob ihnen das gelingt? Selbst wenn die „Kämpfe“ nachgelassen haben - in der Nacht von Sonntag auf Montag waren noch Schüsse zu hören - scheint die Panik unter den Hutus aus Burundi einen solchen Grad erreicht zu haben, daß es schwer sein wird, die derzeitige Fluchtbewegung zu bremsen. Und es wird noch schwerer sein, Tausende von Flüchtlingen zu überzeugen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

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