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Polens Staatsgewerkschaft warnt Regierung

■ Gewaltsame Zechenschließungen stehen neuen Streikzentren gegenüber / Regierung und Partei verfolgen Doppelstrategie von Druck und Verhandlung / Offizielle Gewerkschafter halten Generalstreik für möglich / Kirchenvertreter traf Arbeiterführer Walesa

Berlin (taz/afp) - Vertreter der offiziellen polnischen Gewerkschaft OPZZ aus etwa 100 Betrieben der Region Warschau erklärten am Mittwoch: „Die gegenwärtigen Streiks bringen die Entschlossenheit der Arbeiter zum Ausdruck und stellen einen Protest gegen die Unfähigkeit der Reformanhänger und gegen die tragische wirtschaftliche Situation des Landes dar.“ Sie beklagten, die Behörden würden „Arroganz“ und „Nachlässigkeit“ gegenüber den Forderungen der offiziellen Gewerkschaft an den Tag legen. Auf die Anregungen der OPZZ zur Durchführung von Wirtschaftsreformen habe die Regierung keine konkrete Antwort gegeben. Dies ermächtigte die OPZZ, „radikale Aktionen wie einen Generalstreik“ durchzuführen, heißt es weiter. Im oberschlesischen Kohlenrevier erzielte die Polizei weitere Erfolge bei ihren Bemühungen, die Streiks nacheinander zu zerschlagen. Belegschaftsmitglieder berichteten, die Zechen Borynia in Jastrzebie und Morcinek im nahegelegenen Kosyce seien Donnerstag früh gewaltsam geräumt worden. Dabei seien widerstrebende Bergleute an der Kleidung gezerrt und auch geschlagen worden. In einer weiteren Zeche, Moszczenica, sei es etwa 40 der streikenden Belegschaftsmitglieder gelungen, sich vor einem Polizeiaufgebot unter Tage zu verschanzen.

Gleichzeitig wurde aber berichtet, daß sich neue Gruben um Jastrzebie zu Brennpunkten des Streiks entwickelt hätten. Auch in dem Stahlwerk Nowa Huta bei Krakau sollen rund 1.000 Arbeiter in den Ausstand getreten sein. Der Direktor der Danziger Hafenverwaltung stellte nach Angaben des staatlichen Rundfunks den streikenden Hafenarbeitern ein Ultimatum. Darin hieß es, Belegschaftsmitglieder würden entlassen, wenn sie nicht bis Donnerstag nachmittag einen Revers unterschrieben hätten, daß sie sich nicht im Ausstand befänden.

Professor Andrzej Stelmachowski, Vorsitzender des Klubs Katholischer Intellektueller (KIK), ist am frühen Donnerstag nachmittag zu einem Treffen mit Lech Walesa auf das Gelände der Danziger Leninwerft gefahren. Auch weil Stelmachowski, ein enger Vertrauter des Primas von Polen, Kardinal Jozef Glemp, einen amtlichen Durchfahrtsschein vorweisen konnte, der ihm ein unbehelligtes Passieren der Absperrungen ermöglichte, wird in Danzig angenommen, daß er einen Vermittlungsauftrag erhalten hatte.

Auch im Stettiner Hafen haben Vertreter der Direktion am Mittwoch Verhandlungen mit den streikenden Arbeitern aufgenommen. Radio Warschau meldete, diese Gespräche seien durch Vermittlung des Rechtsanwalts Wladyslaw Sila Nowicki zustandegekommen, der schon im Mai an der Beilegung des damaligen Streiks auf der Danziger Lenin-Werft mitgewirkt hat. Obwohl die Sprecher der Streikenden in Jastrzebie und in Danzig sich in katholischen Gemeindehäusern befinden, hatte das Politbüro am Mittwoch ausdrücklich die Rolle der katholischen Kirche auf dem Weg zur Verständigung und zu Reformen betont. Vor seiner Abreise in Tschenstochau hatte der Bischof von Danzig, Tadeus Goclowski, ausführlich mit Walesas Beratern gesprochen. In Breslau traf sich Erzbischof Henryk Gulbinowics mit den örtlichen Führern von Partei und Verwaltung.

BK

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