: Urteil nach Stammheim-Manier
Flugblattverteilerin zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt / Flugblatt wecke Sympathien für die RAF / Richter: Das Fernziel der Angeklagten ist der Kommunismus, ihr Nahziel die Unterstützung der RAF ■ Aus Stammheim Dietrich Willier
Der Stammheimer Prozessbunker, die Mehrzweckhalle für nur einen einzigen Zweck ist voll bunter Zuschauer. Stehen Sie auf, oder gehen Sie, herrscht Richter Schmid seine Gäste an! Dann wird der Name des Volks erneut für ein Stammheimer Urteil geschunden: Vier Monate Gefängnis. Drei Jahre hat die Angeklagte, eine Tübinger Krankenschwester Zeit, sich zu bewähren. 2.000 Mark Geldbuße sollen der Straffälligen-Hilfe zugute kommen - doch wohl im Sinne der Angeklagten, meint der Vorsitzende.
Die Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung geschwiegen. Am Samstag den 9.Mai vergangenen Jahres jährte sich zum elften Mal der Todestag von Ulrike Meinhof. Eine Demonstration und eine Kundgebung auf dem Tübinger Holzmarkt waren angesagt, Frau D. verteilte Flugblätter, auch an ein paar bekannte Zivilpolizisten. Das Flugblatt polemisiert gegen Unterdrückung und Ausbeutung auf der Welt, gegen Hochsicherheitsknäste, Isolationsfolter und den §129a im eigenen Land. Ein schmutziger Krieg gegen Guerilla, Widerstand und Befreiung sei das, am Schluß werden die Forderungen nach Zusammenlegung von RAF-Gefangenen zitiert und die Freilassung von Günther Sonnenberg gefordert.
Humanitäre und politische Forderungen nennt das der Verteidiger von Frau D., schließlich wisse man doch Bescheid über Hochsicherheitstrakte und Isolationshaft. Für die Stammheimer Richter ist es Werbung für eine terroristische Vereinigung. Vor allem beim „studentischen Tübinger Publikum gebe es ein gewisses Vorverständnis für solche Parolen“. Die Schrift sei geeignet, Sympathien zu wecken. Auch der schwarze Stern stehe nicht von ungefähr auf dem Flugblatt. Und die Forderung nach Zusammenlegung könne schließlich nichts anderes heißen, als daß „die westeuropäische Front auch im Gefängnis zusammengelegt werden soll“.
Außerdem gehöre Frau D. zur „Szene“, und von den entsprechenden Passagen der Flugschrift habe sie sich auch in der Hauptverhandlung nicht distanziert. Die Sympathiewerbung sei also bewußt und beabsichtigt gewesen, wie immer in dieser Szene.
Auch die Polizei, so Rechtsanwalt Nold, hätte ja bei strafbarem Inhalt die weitere Verteilung des Flugblatts verhindern müssen. Mit Begriffen wie Kampf, so Nold, sei ja in aller Regel ein anderer als der bewaffnete gemeint, und für den Kommunismus könne man sein, oder nicht, aber strafbar sei weder das eine noch das andere.
Kommunismus, so der Vorsitzende Herbert Schmid, sei ja nur das Fernziel, das Nahziel sei die Unterstützung der RAF, und dazu sei der Bezug bewußt hergestellt worden. Dennoch, der Fall sei von untergeordneter Bedeutung, der Rechtsstaat sei nicht gefährdet worden.
Die Verteidigung von Frau D. wird Revision beim Bundesgerichtshof beantragen.
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