Stätte des Grauens

■ Vier Jahre lang forschte AG nach der mörderischen Vergangenheit der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik zur NS-Zeit / Dokumentation jetzt ausgestellt

„Totgeschwiegen“ heißt der Titel einer Ausstellung, die jetzt die dunkle Vergangenheit der Karl-Bonhoeffer -Nervenklinik zwischen 1933 und 1945 beleuchtet. Bislang hatte die Leitung der psychiatrischen Anstalt in ihrer eigenen Geschichtsschreibung das Kapitel Nationalsozialismus einfach ausgelassen, weil es angeblich keine Unterlagen gegeben habe. Doch die Nachforschung einer Arbeitsgruppe aus Klinik- und freien MitarbeiterInnen brachte genügend erschreckende Unterlagen zutage, die die Schicksale von tausenden ermordeten Menschen dokumentieren.

Weil sie „das Schimpfen auf den Führer nicht unterläßt“ und die öffentliche Ruhe stört, wurde Frau B. aus Neukölln 1943 vom dortigen Gesundheitsamt in die Wittenauer Heilstätten, so der damalige Name der Klinik, eingewiesen. Die Diagnose lautete Schizophrenie. Ein gutes Jahr später wurde die 48jährige Frau in die Anstalt nach Obrawalde deportiert. Dort starb sie kurz daruf, angeblich an einer Brustfellentzündung.

Dies ist nur einer von vielen schrecklichen Fällen, die sich während des NS-Terror-Regimes auch mit Hilfe der damaligen Wittenauer Heilstätten ereignet haben. Von 1939 bis 1945 wurden rund 15.000 sogenannte Patienten durch die Psychiatrie geschleust. Rund ein Drittel von ihnen landete in Sammellagern oder Tötungsanstalten. Obrawalde war dabei nur einer der Orte, an denen sie umgebracht wurden. Auch in den Wittenauer Heilstätten selbst fielen zahlreiche Menschen den grauenhaften Versuchs-, Mord- und Ausrottungsgelüsten von NS-Ärzten zum Opfer. Nach den bisherigen Ergebnissen mußten rund 1.700 Männer und Frauen Zwangssterilisationen über sich ergehen lassen. Mit Elektroschocks, Medikamententests und anderen medizinischen Eingriffen wurden die Patienten zur „Experimentiermasse“ degradiert. Die Sterberate nahm während der Kriegszeit auffällig zu. So kamen in der Zeit von 1939 bis 1945 rund 4.600 Menschen zu Tode, und zwar selten auf eine natürliche Art und Weise.

Besonders auffällig ist auch die zunehmende Sterberate von jüdischen und ausländischen „Kranken“. In den ersten sechs Jahren der NS-Zeit überlebten die meisten jüdischen Patienten durchschnittlich nicht mehr als acht Monate ihren Aufenthalt in den Wittenauer Heilstätten. Ihr Schicksal bildet ein eigenes Kapitel in der Ausstellung.

Erstmalig bewiesen wurde von der Arbeitsgruppe auch die bis vor wenigen Jahren noch geleugnete Kindertötung. Von Anfang 1942 bis Kriegsende bestand in der Nervenklinik für Kinder und Jugendliche eine sogenannte Kinderfachabteilung. Dort wurden vom „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ 175 behinderte Kinder eingewiesen. Rund 95 Prozent von ihnen wurden zu Tode gequält, indem man ihnen Mittel verabreichte, die zu starken Lungenentzündungen führten. Das Alter der Kinder lag zwischen wenigen Monaten und 16 Jahren, rund zwei Drittel von ihnen hatten allerdings noch nicht einmal das fünfte Lebensjahr erreicht.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe sind bis zum 30.September im Haus IV der Klinik zu sehen. Die Öffnungszeiten sind montags und dienstags von 15 bis 20 Uhr und sonnabends und sonntags von 14 bis 19 Uhr.

Annette Schmidt