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Chinesisch-sowjetisches Glasnost

Erste Verhandlungen der beiden Supermächte über die Zukunft Kamputscheas / Rätsel um die tatsächlichen Absichten der Volksrepublik / Handel floriert  ■  Von Larry Jagan

London (taz) - Erstmals treffen sich heute Vertreter der Volksrepublik China und der Sowjetunion zu einem Gespräch über die Zukunft Kamputscheas. Aber noch bevor das Treffen beginnen konnte, hat Prinz Sihanouk die zentrale Figur des Kamputscheakonflikts verächtlich abgewunken. Man sollte sich lieber auf das nächste Hun Sen-Sihanouk-Treffen im November konzentrieren als auf die chinesisch-sowjetischen Gespräche, meinte er Anfang des Monats vor Journalisten. Prinz Sihanouk, ein häufiger Gast in Peking, hat über Chinas fortgesetzte Unterstützung der Roten Khmer die Geduld verloren. Er hat wenig Hoffnung, daß die heutigen Gespräche den von ihm letztes Jahr angeregten Friedensprozeß beschleunigen könnten.

Beobachter messen dem Treffen allerdings eine größere Bedeutung bei. „China signalisiert auf diesem Weg seine Bereitschaft zu einer 'Kursänderung‘ gegenüber Kamputschea“, kommentierte eine ranghohe diplomatische Quelle in Peking.

Repräsentanten beider Länder trafen seit 1982 zwei Mal pro Jahr zusammen. Seit Gorbatschow am Ruder ist, macht die Verbesserung der Beziehung zu China einen wichtigen Bestandteil seiner Glasnost-Politik aus. Die mehr als vorsichtigen Chinesen vertrauen dagegen eher auf Taten als auf Worte. In den letzten Jahren hat der chinesisch -sowjetische Handel einen Boom erlebt und für 1990 wird ein Aufkommen von über fünf Millionen Dollar erwartet. Neben dem Ausbau wissenschaftlicher und technologischer Austauschprogramme wurde 1980 der Austausch von Studenten nach einem Vierteljahrhundert wiederaufgenommen und selbst das Bolschoi-Ballett geht nächstes Jahr auf eine China -Tournee.

Trotz dieser Annäherung zwischen den ehemaligen Alliierten hat die politische Normalisierung nur geringe Fortschritte gemacht. Hartnäckig halten die Chinesen daran fest, daß einer Verbesserung der Beziehungen drei Hindernisse im Wege stünden: das Truppenaufkommen der sowjetischen Armee entlang der gemeinsamen Grenze, die sowjetische Afghanistan -Okkupation und die Unterstützung der vietnamesischen Besetzung Kamputscheas.

Mit dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan und beachtlichen Konzessionen an der nördlichen Grenze, die sowohl Truppenreduzierungen als auch die Akzeptanz chinesischer Grenzansprüche einschließen, bleibt die Kamputschea-Frage Stein des Anstosses. Dabei hat Vietnam mit der Halbierung seiner Truppen in diesem Jahr viele westliche Beobachter verblüfft. DDe verbleibenden 50.000 Soldaten wurden dem militärischen Oberbefehl in Phnom Penh unterstellt. Für Ende nächsten Jahres ist der vollständige Truppenabzug angesagt.

Der chinesisch-sowjetischen Wiederannäherung sollte mithin nichts mehr im Wege stehen. Aber Offizielle in Peking haben wiederholt angedeutet, die genannten Hindernisse wären nichts als eine chinesische Ausflucht, um zu vertuschen, daß kein Interesse an der Verbesserung diplomatischer Beziehungen besteht. Die Chinesen haben es nicht versäumt, gegenüber Offiziellen und Journalisten zu betonen, daß bessere Beziehungen zur Sowjetunion ihr „besonderes Verhältnis“ zur USA nicht gefährden könnten. Ironischerweise hat das jüngste Treffen die volle Unterstützung der USA, die, noch vor Reagans Ablösung eine Klärung des Kamputschea -Konflikts anstreben.

Die Schlüsselfrage für die chinesisch-sowjetischen Beziehungen und eine Kamputschea-Friedenslösung ist die fortgesetzte chinesische Unterstützung für die Roten Khmer, und selbst hier gibt es einige Anzeichen dafür, daß sich die Chinesen politisch von Pol Pot distanzieren. Chinesische Offizielle haben des öfteren betont, daß sie die Khmer Rouge nicht wieder an die Macht bringen wollen.

Aber ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums hat Anfang des Monats gewarnt, China werde die Waffenlieferungen an die Roten Khmer nicht abbrechen, bevor nicht die vietnamesischen Truppen Kamputschea verlassen haben. Kurz darauf haben die Roten Khmer ihren eigenen Friedensplan vorgelegt, in dem sie einen Abbau ihrer Truppen vorschlagen, sich für eine aus allen vier Fraktionen zusammengesetzte Übergangsregierung unter Prinz Sihanouk einsetzen und schließlich die UNO-Beteiligung an der Garantie für Kamputscheas Unabhängigkeit und Neutralität fordern.

Beobachter sehen diesen Vorschlag als Teil einer Strategie, das internationale Image der Chinesen aufzubessern. Gleichzeitig sind Kader der Roten Khmer mit dem Einvernehmen Chinas selbst in die östlichen Provinzen Kamputscheas vorgedrungen. Sihanouk bedrängt unterdessen China, die Roten Khmer fallen zu lassen, und hat angedroht, mit Hun Sen eine militärische Allianz zu bilden. Privat äußerte er, daß die USA bereits Bereitschaft gezeigt hätten, finanzielle Unterstützung für dieses Projekt zu gewähren. Klar ist, daß China nur ein neutrales und ungebundenes Kamputschea akzeptieren wird.

Wenn Chinas traditionelle Antipathie gegenüber Vietnam auch bestehen bleibt, seine strategischen Interessen zielen heute auf das südchinesische Meer. Neben der Sicherung von Rohstoff- und Fischressourcen geht es ihnen in der Region um die Sicherung eines strategischen Brückenkopfs. Abgesehen von Scharmützeln, die sich China Anfang des Jahres mit Vietnam auf den Spratley-Inseln geliefert hat, warnte die offizielle chinesische Nachrichtenagentur, daß China in der Region mit Missiles-Raketen und strategischen Nuklearwaffen ausgestattet sei.

Das heutige Treffen bringt den Frieden in Kamputschea nicht näher, wie Sihanouk kommentierte: „Sie werden lediglich in ihren Differenzen übereinstimmen.“ Aber ungeachtet des offiziellen Ergebnisses wird es für Sihanouk in Zukunft einen größeren Operationsspielraum geben. Ein Gipfeltreffen von Den Xiaoping und Gorbatschow ist noch in diesem Jahr möglich.

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