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Stelldichein der Gescheiterten

Verregnetes Grand Prix Finale der Leichtathletik im Berliner Olympiastadion  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Die originellste Idee hatte erstaunlicherweise Eberhard Diepgen, Berlins Regierender Bürgermeister. Bestrebt, Sport und Kultur mit aller Gewalt unter einen Hut zu bringen schließlich ist Berlin in diesem Jahr Kulturstadt Europas verwies er auf die alten Griechen, die ihren Sportlern „auch Lyrik und Gesang abverlangten“.

In der Tat hätte es zu einer erheblichen Stimmungssteigerung an diesem unwirtlichen, verregneten Abend beitragen können, wenn etwa Said Aouita seine Ehrenrunde nach dem Sieg im Meilenrennen mit einer schwungvollen Version von „Keep On Running“ begleitet hätte. Und Sergej Bubka wäre von seinem Stab vielleicht in weit luftigere Höhen als die erreichten 5,80 Meter getragen worden, hätte er sich vorher durch die lauthalse Deklamation des ehrwürdigen Reimes „Flieg, Maikäfer, flieg“ zusätzlich motiviert.

Dann wäre den 25.000 Zuschauern im Olympiastadion sicher auch der Verzicht auf die mit großem Pomp angekündigte und dann doch sang- und klanglos - im wahrsten Sinne des Wortes

-ausgefallene „Stadionsymphonie“ leichter gefallen. 800 Musiker sollten eigentlich eine von Friedemann Graef komponierte „große Bläsermusik“ aufführen. „35 Instrumentengruppen sind auf den Rängen und auf dem Rasen des Stadions postiert und spielen sich die Klänge und Melodien einander zu“, schwelgte das Programmheft vollmundig und kündigte wundersame Hörgenüsse an: „Wo auch immer der Zuhörer sitzt, hört er den Klang mal neben sich, mal von gegenüber, von rechts vorbei- oder hinter sich herumwandern.“

Allein, das Werk wurde nicht rechtzeitig fertig, das einzige, was herumwanderte, war die grassierende Kälte und das Publikum mußte anstelle der blasenden Meute mit den kakophonischen Bemühungen einiger Mitglieder der Bläsergruppe IG Blech vorliebnehmen. Symptomatisch für die gesamte Veranstaltung, die vom Präsidenten des Internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF), Primo Nebbiolo, kühn als „bedeutendster Zwischenstop“ der Athleten vor den Olympischen Spielen apostrophiert worden war und dann doch eher zum Stelldichein der Gescheiterten, Chancenlosen und Boykotteure geriet.

Abgesehen vom Stabhochspringer Bubka, der seinem Landsmann Gataulin mit - unter den widrigen Witterungsbedingungen sensationellen 5,95 m den Sieg lassen mußte, den Gesamt -Grand Prix-GewinnerInnen Said Aouita (Marokko) und Paula Ivan (Rumänien), den Hochspringern um Patrick Sjöberg, den kenianischen Hindernisläufern, den Sprintern Calvin Smith, Sieger über 100 Meter, und Roger Kingdom, der sich selbst das schönste Geburtstagsgeschenk machte und die 110 m Hürden in wunderbaren 13,04 Sek. gewann, mieden die Goldaspiranten das Berliner Olympiastadion wie einen Muskelkrampf: kein Lewis, kein Johnson, kein Moses, kein Cram, keine Griffith -Joyner, Joyner-Kersee, Ashford, keine DDR-AthletInnen, keine BulgarInnen.

Dafür nutzten einige derjenigen, die den Sprung nach Seoul nicht schafften, die Gelegenheit, der Welt zu beweisen, was in ihnen steckt. Igor Astapkovich aus der UdSSR wuchtete den Hammer auf stolze 81,26 m, Mike Conley (USA) hüpfte mit seinem letzten Dreisprung 17,59 m und mit den folgenden drei Freudensprüngen nochmal genausoweit, Vize-Weltmeister Danny Harris („Ich wünsche meinen Kollegen für Seoul alles Gute“) beherrschte die 400 m Hürden und die kubanischen Olympia -Boykotteure wie der Hochspringer Javier Sotomayor und vor allem die 400-m-Läuferin Ana Quirot machten ihren KonkurrentInnen noch einmal klar, daß diese schleunigst ein Danktelegramm an Fidel Castro schicken sollten.

Nur das schamlos aus dem britischen Olympiateam verbannte Mittelstreckendenkmal Sebastian Coe konnte seinen Anspruch nicht wie gewünscht untermauern. Im Finish eines langsamen 800-m-Rennens vermochte der rekonvaleszierende Coe den - für Seoul qualifizierten - Tom McKean nicht zu überholen und tat nachher kund, es fehle ihm noch an „Racecraft“, an Renngeschicklichkeit.

Die Zeiten, Weiten und Höhen waren insgesamt mäßig - kein Wunder bei dem Sauwetter - und als Rodion Gataulin die Weltrekordhöhe von 6,08 m zum drittenmal verfehlt, Patrick Sjöberg die 2,39 m endgültig gerissen hatte, die Stadionsymphonie immer noch nicht fertig und selbst dem Regierenden Bürgermeister nicht mehr zum Singen zumute war, lieferte Said Aouita eine treff liche Charakterisierung dieses 4.Grand Prix Finales: „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich war wirklich nicht gefordert“.

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